14. Oktober 2013
Liebes Messetagebuch,
vom 9. bis zum 13. Oktober 2013 war mal wieder Buchmesse in Frankfurt. Puh, ich kann dir flüstern! Da war vielleicht was los! Ich hab ein paar Fotos gemacht, damit du mir das auch glaubst. Aber wie’s immer so ist: In den absurdesten Momenten hatte ich natürlich keine Kamera zur Hand. Die Passagen musst du mir einfach so glauben.
Angefangen hat’s eigentlich schon am Dienstag, da haben wir nämlich aufgebaut. Obwohl ich Montagabend schon alles gepackt hatte, hab ich dann doch wieder ewig gebraucht, bis ich Dienstag in die Puschen kam, und so war ich erst in Frankfurt, als alle anderen schon fertig aufgebaut hatten. Wie immer in Frankfurt hatte mal wieder irgendein Trottel unsere Regalböden geklaut. Aber Andreas vom Unsichtbar Verlag hat sich drum gekümmert. Auf Tapete hatte ich diesmal keine Lust, ich dacht ich probiers mal mit rosa Beleuchtung. Weiß noch nicht, wie ich’s fand. Sagen wir mal: is noch Luft nach oben. Zumal’s ein ganz schöner Nahkampf war, bis die ollen Leuchten alle verkabelt waren.

Mittwoch, 11.55 Uhr: Herr Köglowitz und ich üben schon mal gut und wichtig auszusehen. Herr Köglowitz kann das von Natur aus ja ganz gut. Ich werd das noch ein bisschen üben.

Kurz vorher kam aber noch Anna von der Alisagroup, meiner Druckerei und hat „Zwischen Rotwein, Filetsteak und Popstar-Neurosen“ vorbeigebracht. Unglaublich, eine Druckerei, die wirklich gute Bücher macht, unglaublich schnell ist und die vorallem von der Zusammenarbeit mit mir keinen Nervenzusammenbruch bekommt.
Mittwoch, 12.02 Uhr: Andrea Mohr kommt.
Mittwoch, 12.07 Uhr: Eveline Lemke von den Grünen (Wirtschaftsministerin RLP) stattet uns einen Besuch ab und vertieft sich mit Frau Mohr in ein längeres Gespräch über starke Frauen in schwierigen Zeiten. Nach der Beteuerung ihrer Bewunderung verabschiedet sie sich schließlich damit, mir viele weiere so spannende Autoren zu wünschen.
Mittwoch, 12.27 Uhr: Gunnar Tjaden materialisiert sich aus dem Nichts heraus vor unserem Stand. Er freundet sich spontan mit Andrea Mohr an und auch ansonsten bemerkt er schnell, bei den Guten gestrandet zu sein. Es folgen zwei Stunden Gespräch über den Literaturbetrieb und die Avantgarde, die Relevanz von Geld für künstlerisches Schaffen, die Verfügbarkeit der Mittel, Aluminiumschlafbehältnisse und Kloster.
Mittwoch, 13.17 Uhr: Neigt man den Kopf zur Seite, sieht das Verlagsprogramm immer noch ziemlich gut aus.
Mittwoch, 13:39 Uhr: Ines Schäfer, die neue Verlagsvertreterin, rollert am Stand vorbei und wird sogleich von ziemlich vielen um ihr Fortbewegungsmittel beneidet.
Mittwoch, ungefähr zur selben Zeit: Andreas Weber und Andy Strauß lesen auf der Leseinsel der unabhängigen Verlage. Auf Grund eines Stockholmsyndroms bittet Andy Strauß schließlich Andrea Mohr auf die Bühne oder besser gesagt: auf den Tisch. Dieser Bitte kommt Andrea gerne nach, auch wenn sich die beiden erst seit wenigen Minuten kannten. Unaufmerksam, wie ich nun mal bin, vergaß ich die Herrschaften einander vorzustellen. Doch Andrea initiierte ein gegenseitiges Kennenlernen. Kann ja nie schaden, ein bisschen zu netzwerken.
Mittwoch, gegen 15.00 Uhr: Brandstifter kommt noch mal am Stand vorbei und versinkt sogleich in einem längeren Gespräch mit Gunnar. Diesmal gings glaube ich um Polaroids, Ausstellungen, Musik und solche Sachen.
Mittwoch, 15:25 Uhr: Ich kann nicht oft genug hingucken. Schön, dass es endlich da ist. Dann muss ich mich aber doch losreißen, weil ich zusammen mit Andrea einen Termin in Halle 8 habe. Es geht um die Lizenz von Madame Chérie. Wir stranden bei einem Scientologen-Verlag, bekommen Bücher, Seelenfrieden und Orangensaft angeboten, Studien über Entgiftung mittels Scientology in fünf Schritten gezeigt und der unheimlich nette Mann lernt im Gegenzug einiges über Kokain, australische Gefängnisse und das (Nacht-)leben von Striptease-Tänzerinnen. Ich muss derweil dringend auf Toilette und dränge zum Aufbruch. Dem Herrn Andreas Lizenz für den amerikanischen Buchmarkt zu verkaufen scheint mir ohnehin aussichtslos. Auf dem Rückweg besuchen wir noch kurz Nigel House von Jawbone. Somit hat sich der Ausflug in die schlimmste aller Hallen doch noch gelohnt.
Mittwoch, 16.52 Uhr: Endlich zurück am Stand, der zwischenzeitlich etwas dunkel war, weil die Glühbirne den Geist aufgegeben hatte. Und wer bringt die Erleuchtung? Nein, nicht die Scientologen! Dirk Hülstrunk („antikörper / antibodies“) hat eine neue Birne mitgebracht.
Mittwoch, 17.32 Uhr: Dirk geht, Brandstifter (ebenfalls „antikörper / antibodies“) kommt und beinahe zeitgleich steht plötzlich Bernward Malaka da. Ich liebe Überraschungsgäste. Zumal, wenn ich denjenigen lange nicht gesehen habe. Nette Gespräche über Musik, Düsseldorf, New York und Literatur.
Mittwoch, 18:00 Uhr: Andreas macht die Lichter aus und verabschiedet sich, eine nette Standnachbarin kommt zum Feierabendrotwein vorbei und wir jammern ein bisschen über das harte Verlegergeschäft. Um 18.30 Uhr kommt dann auch der Gong und die Durchsage, dass der heutige Messetag rum sei. Um 18.30 Uhr? Wir dachten um 18.00 Uhr sei Feierabend. Erklärt auch, warum die ganzen vorbeilaufenden Bescuher so bescheuert geguckt haben.
Mittwoch, 19.37 Uhr: Ich geh dann mal. Die Messe is ein richtig schöner und friedlicher Ort, wenn keiner mehr da ist. Auch die Heimfahrt nach Mainz ist relativ geschmeidig.
Donnerstag, 10.03 Uhr: Hip hip hooray! Rudi Esch, Schäfi und Jochen sind da! Das kann ja nur ein spannender Tag werden. Herrn Hörning von Suhrkamp endlich mal kennengelernt, neue Weltherrschaftspläne mit Nigel und Jawbone ausgearbeitet und viel Kaffee getrunken.

Donnerstag, 13.09 Uhr: Uly! Darf auf keiner Messe fehlen, tut er auch nicht. Langsam werden erste Rufe nach Schnaps laut. Gespräche über nächtliches Lektorieren, fehlerfreie Manuskripte, die Lektoren in tiefe Depressionen stürzen und Millionäre auf Buchmessen.
Donnerstag, 15.18 Uhr: Das nenn ich mal eine Manuskripteinreichung! Das vermutlich längste Leporello der Buchmesse!
Donnerstag, 16.01 Uhr: Mist! Hatte ich nicht groß getönt bis zu unserem nächsten Wiedersehen herauszufinden, von wem der Satz: „Man kann ja paranoid sein und trotzdem verfolgt werden“ ursprünglich ist? Dennoch sehr schönes Treffen. Noch mehr Kaffee.
Donnerstag, 16.18 Uhr: Heute muss ich meinen Stand echt nicht verlassen, um spannende Menschen zu treffen. Halle 4.1, Stand D41: THE place to be! Da kommt auch schon Matthias Penzel … und Michael Meyer.

Donnerstag, 17.03 Uhr: Ha! Verrückt! Da sag noch mal einer, Gonzo sei nicht mehr zeitgemäß! Ich steh ja nicht immer unbedingt auf neue Bekanntschaften, aber bei denen beiden hat es sich gelohnt. Auf Empfehlung seien sie da, von wem auch immer. Gehören auf jeden Fall derselben Glaubensgemeinschaft wie ich an …
… und scheinen ziemlich beste Freunde zu sein.
Donnerstag, 17.49 Uhr: Mara und Alex! Immer schön. Maras Mainz 05-Buch ist ja jetzt bei Schwarzkopf und Schwarzkopf erschienen. Nicht, dass ich was mit Fußball anfangen könnte, aber das find ich trotzdem ziemlich knorke!
Freitag, 18.22 Uhr: Seltsamer Weise gibt es vom Freitag kaum Fotos. Das war auch mein Messetiefpunkt. Den Freitag habe ich überwiegend damit verbracht, Besuchern minanthrope Flüche den Gang hinterher zu schreien und Unmengen von billigen Energie-Drinks in mich reinzuschütten. Weiß nicht, ob es einen wissenschaftlich belegbaren Kausalzusammenhang zwischen Taurin und schlechter Laune gibt, es wurde jedenfalls nicht besser. Willensschwach verkauften wir uns schließlich an den Mainstream und machten, was alle machten: Wir blieben bis 18.30 Uhr für den Publikumsverkehr ansprechbar. Und wer kommt da noch ums Eck? Paul Bokowski. So, so, jetzt also Goldmann.
Freitag, 20.36 Uhr: Toll. Passt ja prima zu meiner heutigen Laune. Letzten Messebus zum Auto verpasst, also bis zum Rebstockbad gelatscht. Zum Glück ausreichend Energy-Drinks intus. So ist das im Leben: Man versteht meist erst später, für was es gut gewesen sein wird. Wenigstens dumm angequatscht wird man da draußen nicht, da ist nämlich keine Menschenseele weit und breit. Nur Hasen.
Freitag, 20.50 Uhr: I’m walking … laaaangweilig … these boots are made for walking … laaaaangweilig …
Samstag, 11.03 Uhr: Steve Blame beginnt mit seiner Lesung auf der Leseinsel der unabhängigen Verlage. Na ja, eigentlich hat er gar nicht gelesen, sondern erzählt. Und zwar von seiner Theorie der emotionalen Vaseline. Dazu hat er exemplarisch aus den Leben einiger Popstars erzählt, wie Tina Turner.


Aber auch aus seinem Leben hat er erzählt. Und natürlich von den Parallelen, die er bei sich und diversen Musikern entdeckt hat und wie das seiner Meinung nach zusammenhängt, das mit den Traumata und dem kreativen Output.

Samstag, 11.42 Uhr: Steve trinkt noch einen Kaffee im Stand und unterhält sich mit ein paar Fans, bevor er auch schon wieder weitereilt.
Samstag, 12.36 Uhr: Stefan entwickelt das Konzept des Sekundenschlafs, inspiriert durch die teils äußerst geistreichen Wortfetzen, die von der Leseinsel zu uns herüber getragen werden.
Samstag, 14.01 Uhr: Simona hat soeben das großartige Carl Weissner-Buch bei Milena erstanden (als Literaturbloggerin schreibt sie darüber) und kommt gleich rüber, um es mir zu zeigen.
Samstag, 15.33 Uhr: Wer die „Kreisklassenhölle“ gelesen hat und sich daran erinnert (die Heidegger-Passage), wird dieses Foto genauso lustig finden wie ich 🙂
Samstag, 16.03 Uhr: Ich vermute, es ist dem Messewahnsinn geschuldet, dass sich Stefan Gaffory nach einigen Stunden auf dem Gelände einem eigenartigen Selbstexperiment unterzog: Einhorn-Elfen-Plörre ohne Zusatzstoffe. Dieses Getränk deckt 100% Ihres Tagesbedarfs an Scheiße ab.
Samstag, 16.09 Uhr: Stefan bezieht Dirk Bernemann in das Experiment ein, der bereits nach wenigen Schlucken unter erheblichen Folgeschäden leidet.
Samstag, 18.42 Uhr: Chill out im ausgelagerten Besprechungszimmer (der Stand gegenüber, der nicht bezogen worden war). Danach dann eine schier endlose Odyssee der hier zu sehenden Truppe: Wieder den letzten Messebus verpasst, per pedes zum Rebstockbad, Bushaltestellenkonzept nicht kapiert und ewig im Kalten auf die 50 gewartet, an der Messe umgestiegen in die U4 bis FFM HBF, dort dann in die S6 bis zur Galluswarte und zu Fuß zum Knobbe. Als entschädigung dort einer sehr schönen Lesung von Thomas Meinecke beigewohnt. Den Rückweg dann direkt zu Fuß bis zur Messe angetreten – das hat dann nur neun Minuten gedauert. Liebes Messetagebuch, hätte ich an dem Tag Kilometergeld bekommen, ich hätte locker die Messerechnung davon bezahlen können.
Samstag, irgendwann gegen Mitternacht: I’m walking … laaaaangweilig …

… aber so’n Nachtspaziergang hat ja auch was für sich und immerhin habe ich Asyl bei den Unsichtbaren gefunden und musste nicht nach Mainz zurück.
Samstag, weit nach Mitternacht: … wobei ich mir nicht so sicher bin, ob ich in Mainz nicht besser geschlafen hätte als in einem saukalten Wohnwagen mit schnarchenden Typen. Aber hey, ich will jetzt auch nicht undankbar wirken. Nach Mainz wär ich sicher länger gelaufen.
Sonntag, 8.40 Uhr: Bisschen spät dran auf dem Weg zurück zur Messe. Seltsame Gegend da beim Rebstockbad – selbst tagsüber eine Geisterstadt.
Früher war das wohl mal ein Zeppelinlandeplatz, wird mir später am Tag George Koehler erklären. Heute landen da nur noch UFOs und Verleger.
Sonntag, 9.02 Uhr: Seltsam, wo ist diese Masse, die uns kreischend die Bücher aus den Händen reißen wird?
Sonntag, 14.26 Uhr: Ganz ehrlich, das hab ich nicht konstruiert. Ich hab nur das Plakat aufgehängt. Und im Laufe des Tages ist der Mülleimer in diese Ecke gewandert und hat sich gefüllt. Und schließlich hat ein Passant seinen Luftbalon, den er offensichtlich nicht vor sich hertragen wollte, dort entsorgt. Das hat mich kurzfristig aus meinem Mittagstief gerissen und zum Lachen gebracht. Wohingegen ich es bemerkenswert finde, dass es tatsächlich ein Motiv gibt, das sonst so heiter daher kommende Luftballons bierernst wirken lässt.
Sonntag, 16.04 Uhr: Noch ein Überaschungsbesuch! Johnnnnnnny! Wie geil ist das denn?
Sonntag, 16.24 Uhr: George Koehler („Poems You See Before You Die“) ist soeben Fan von Michael Geißler geworden.
Sonntag, 16.47 Uhr: Stefan und Bernadette. Schön, dass auf der Zielgeraden noch so viele vorbei kommen und es kein ödes Warten auf das Ende ist. Aber natürlich gibt es dazwischen auch geistige Durststrecken und selbstredend extrem dämliche Besucherfragen. Liebes Messetagebuch, du weißt ja, dass ich Menschheit in den allermeisten Fällen für nicht rettbar erachte. Die Nichtexistenz einer „Schwarmintelligenz“ wurde innerhalb dieser fünf Tage auf jeden Fall hinlänglich erbracht. Dafür hatte ich eine tolle Dienstleistungsidee für die nächste Messe: Ich verteile kostenlos ehrliche Meinungen. Beispiele? „Entschuldigung, aber dieses Oberteil und dieser Körper – das geht echt gar nicht!“ Oder: „Wenn sie noch einmal hysterisch schreien, dass Ihr Kind nicht so hysterisch schreien soll, schrei ICH mal hysterisch – und das werden Sie sicher nicht wollen!“ Oder: „Auf Grund dieser Frage möchte ich in Zweifel ziehen, dass Sie auf einer Buchmesse richtig sind.“ Oder: „Nein, ich glaube kaum, dass ihr Roman in unser Verlagskonzept passt, zumindest nicht, wenn sich der Rest wie Ihr Exposé liest. Das würde noch nicht mal ein Druckkostenzuschussverlag drucken.“ Oder: „Wenn Sie das hier wirklich für verrückte Bücher halten, muss Ihr Leben echt scheiße langweilig sein.“ Allerding hat mich die Vergangenheit ja gelehrt: Die meisten Ideen, die ich hab, sind seltsamerweise nicht markttauglich. Die Menschheit ist einfach noch nicht bereit für meine Konzepte.
Sonntag, 17.30 Uhr: Herr Köglowitz fängt pünktlich zum Schlussgong mit dem Standabriss an und verlässt dann fluchtartig das Gelände.
Sonntag, 18.09 Uhr: Ich hingegen brauch mal wieder ewig, bis ich meine tatsächlich nicht mehr als sieben Sachen zusammengepackt habe. Vorallem die blöden Kabel wieder aus den Schächten zu bekommen und die Lampen abzugaffern – boah, nee, das hätt ich am End echt nicht gebraucht. Aber zum Glück waren George, Eva & Eva da und haben packen, schieben und schleppen geholfen. Sonst wär ich jetzt wahrscheinlich immer noch nicht fertig.
Sonntag, 18.29 Uhr: Und so sieht so ein Messestandinhalt dann fachgerecht verpackt aus.
Na ja, kann man ja vielleicht noch irgendwas draus bauen. Eigenet sich prima als Brett vorm Kopf.
Sonntag, 18.47 Uhr: Noch eine letzte Kippe, noch mal kurz verschnaufen, bevor wir uns und die ganzen Bücher zum Auto schleppen, während um uns herum in unglaublichem Tempo die ganze Messe eingerissen wird.
Tschö! Auf ein Wiedersehen! Es war wie immer sehr, sehr schön!