Leseprobe „Kurt Stein – Ein Schwein wird Privatschnüffler“
29. September 2014
Leseprobe aus „Zwischen Rotwein, Filetsteak und Popstar-Neurosen“
31. Oktober 2013
Leseprobe aus „antikörper / antibodies“
11. August 2013
Leseproben Hinterlasse einen Kommentar
wenn das mindesthaltbarkeitsdatum des wunders abgelaufen ist, müssen alle verbände schonungslos aufgedeckt werden. die wunden werden so lange geleckt und gekost, bis das wunder wiederkehrt oder die nekrose des gekröses das endstadium erreicht hat.
when the last quantum of wonder has gone, all dressings must be mercilessly stripped off. the wounds must be licked and kissed continuously to effect the return of wonder, or until the necrosis of the entrails has reached the terminal stage.
***
jeder verband dient der ablenkung von steuerfahndern und wundfanatikern. man unterscheidet droh-, stoß-, streif-, streck- und stauchkulissen. lebensbedrohliche wunden werden zu hauptverkehrszeiten mit den abendnachrichten vernäht und mit schweren steinen im bewusstsein versenkt. oberflächliche wunden werden lokalen künstlern zur gestaltung ihres stadtteils überlassen.
all bandages strive to divert tax inspectors and bedsore fanatics. distinctions are made as to threatening, shocking, striating, stretching, and compressing circumstances. life-threatening wounds are sutured with the evening news at rush-hour. heavy stones are used to sink them into consciousness. superficial wounds are left to local artists to enhance their neighborhood.
***
die pfirsichkerngroßen vorurteile müssen gleichmäßig in alle ventrikel verteilt werden. bei unsachgemäßer lagerung des kopfes, kann es zu einer akkumulation der vorurteile in bestimmten regionen kommen. pfirsichkerne durchbrechen die äußere knochenwand des stirnbeins und gelangen in die öffentlichkeit. es besteht die akute gefahr neuartiger glaubensformen mit unerprobten rituellen handlungen und einer ablehnung vertrauter konsumgüter.
the peach-pit-sized prejudices must be evenly distributed in all ventricles. inexpert placement of the head can lead to an accumulation of prejudice in one region. peach pits sometimes punch through the outer bone wall of the brow and seep out into the general public. there is an acute danger that the afflicted will adopt new religions with untested rituals and a sudden contempt for familiar consumer goods.
***
wenn alle intrigen versagen, droht die krankenschwester mit blutenden kinderköpfen, die zwei- bis dreimal auf die verborgenen bindengänge geschlagen werden. sie gibt fingernägel und tupfer hinzu und bringt die bewusstseinsklemme an. die faust ist mit entferntem kopfschütteln und ausweichverhalten zu multiplizieren.
if all intrigues fail, the nurse threatens with bloody children’s heads. the heads have been smacked two or three times to the hidden ligature channels. she adds fingernails and swabs until a consciousness retractor is established. the fist is to be multiplied by vague head-shaking and attempts to shun.
***
gegen unerklärliche euphorie hilft nur die kontrolliert anthroposophische knochensprengung. die splitter werden in betreuten werkstätten unter fachlicher anleitung spielerisch neu strukturiert. kreuzworträtsel und erholungsaufenthalt in der weichzelle können auf antrag angeschlossen werden.
inexplicable euphoria can only be cured by controlled anthroposophical bone explosions. the shards must be reassembled in trusted workshops under certified supervision. crossword puzzles plus a vacation in the rubber room can be requested.
Leseprobe aus „Südwestwärts 1&2“
1. März 2013
Leseproben Hinterlasse einen Kommentar
for the old, the ugly & the sergeant
1
a)
sie ist nie sie
sah sie erstmals
in einem hotelzimmer in fès
lag fiebrig & schwitzend
in laken
motoren lärmten
die straße entlang
& der alte muezzin plärrte
den morgen herbei
immer wieder
dasselbe bild
in diesem hotelzimmer
liege fiebrig & schwitzend
in laken
sie schält sich
aus dem weiß der decke
flüster
«rachida»
b)
samstag
fünf uhr früh
rocknroll-suicide
taste mich zu den camels
dem feuerzeug
zeit für ne kippe
steck sie mir in den mund
rauche an &
huste
«… but you don’t eat when you’ve lived too long …»
schwaden & asche
versuche aufzustehn, schwanke
zieh mir was über
torkle den gang entlang
draußen dämmerts
aufm weg zur dusche
streife ich julie
die von der arbeit heimkommt
«schon wach!?!»
genuschel – dann
heißes wasser
über meinen kopf
über meine schultern
über meine brust
über meinen bauch
über meinen schwanz
über meine beine
über meine füße
– dann
gurgeln & dampf
von frischem kaffee
schlaf kriecht
aus den knochen
raus aus dem
offenen fenster
in den morgenhimmel
die kühle luft unter der wolkendecke
ins regengeplätscher
am straßenrand
stehen die letzten
verbliebenen
nutten
mit aufgespannten
schirmen
hoffen
auf einen
letzten
fang
es regnet bloß
& in den pfützen
zappeln
keine
fische
[…]
e)
«young girl, get out of my mind
my love for you is way out of line»
nina trällert mit ner
oldie-schnulze von gary puckett um die wette
mara braucht was aufputschendes
damit sie hinter dem steuer nicht einnickt
nero kommentiert die visagen
der autofahrer die wir oder die uns
überholen
& schon wieder der gotthard
// unter meiner wohnung
hat n neuer döner eröffnet
die nutten
vom straßenstrich
sitzen an der bar
aufgereiht
wie kanarienvögel auf dem stängelchen
ich warte auf meine falafel
versuche den verkäufer
in ein gespräch zu verwickeln
versuche hinter die frontlinie
zu gelangen //
eine der ersten frühlingsnächte
des jahres – hier auf der nordseite
der mond versinkt gelb
im vierwaldstättersee
der große mond
nah wie seit jahrzehnten nicht mehr
f)
südwärts!
den fluss runter
wir bauen eine neue stadt
südwärts!
den fluss runter
eine stadt ganz aus gold
südwärts!
den fluss runter
eine stadt ohne geschichte
ohne museen, ohne bibliotheken
ohne akademien
südwärts!
den fluss runter
den fäusten entlang
den geschwollenen
augen entlang
dem atemlosen
magen entlang
südwärts!
körper treiben
wie kähne
vorbei
schlaflos
starre ich
starre ich
starre ich
in kalten rauch
schwärze
& schatten
ein pennermädchen
das seine mutter sucht
setzt sich zu mir
ich möcht gern mit ihr kämpfen …
Leseprobe aus „Der letzte große Bluff“
15. Januar 2013
Immer sitzt am Nebentisch
Irgendein
Idiot
Und sondert lautstarke Redeschwalle ab
Man möchte aufstehen
Und selbigem die Fresse polieren
Stattdessen sitzt man sich fest
Und erhebt das Glas
Auf die Errungenschaften der Zivilisation
Ich trinke meinen Tall Chai Latte und denke:
Du balancierst besorgniserregend
Am Rande eines großen, dunklen Lochs, mein Freund
Zwischen seinen Beinen
Hampelt ein Hund herum
„Dein Herrchen wagt sich ganz schön weit aus
dem Fenster“, flüstere ich
„Ich weiß, er ist ein Arschloch. Aber er verwaltet das Fressen.“
Das ist genau das Problem: Es gibt
immer einen, der das Fressen verwaltet
Ausgespielt
Am Morgen des 20. März
nachdem er von den Vorstadtratten wie immer mit „have a rotten day“
begrüßt worden war
wurde ihm bewusst
dass er die letzten 20 Jahre
praktisch in einem Mittelklassewagen verbracht hatte
irgendetwas begann zu wirken
er hoffte, dass es die Grünen und Blauen waren
denn die Roten hatte er noch gar nicht genommen
Jetlag
Mein Körper befindet sich noch in Miami
Der Anblick der Montagmorgenfressen
deutet jedoch
darauf hin
Dass ich unwiderruflich wieder zu Hause bin
Der Kellner berechnet mir zu viel
Was mir ziemlich egal ist
Ich will nur raus aus dem Dunstkreis der Morgenmuffel
Das scheint ansteckend
Auch ich gucke schon
ziemlich beschränkt aus der Wäsche
Die Wetterlage ist beschissen
3. August, 13 Grad, regnerisch
Wieso vergeht die Zeit so schnell
Kaum der Mutterbrust entwöhnt
Schon bestellt man den Platz in der Altersresidenz
Im Hintergrund singt Michael Jackson
– der Herr sei ihm gnädig –
“You are not alone“
Ich nehme an, das ist als
Drohung aufzufassen
Gelobtes Land
Die Eidechsen auf meiner Veranda
Machen sowas wie Liegestütze
Bei 103 Grad Fahrenheit
Das muss am kleinen Hirn liegen
Ich hingegen sitze wie eine benebelte träge Bisamratte
Auf dem Chaiselongue, nippe an meinen Chill – 100 Kalorien
Und schwitze aus
Letzte Woche hatte der Teufel an meine Tür geklopft
Und mich ins Land der Schweinepriester eingeladen
Weil auf der Erde eh bald Schluss sei
Manchmal denke ich
Ich hätte mitgehen sollen
Manchmal denke ich
Ich bin schon dort
Alabama
Wir schmissen
unsere Bierdosen
in den Trichter
der Nacht
Die alles verschluckte
Gleissendes Mondlicht ergoss sich über meine Schenkel
Die Nacht schützte
Ließ vergessen
Am meisten sich selbst
Das flache, staubige Land
Das grausame Gelb der Sonne
Die tagelang unerbittlich auf uns niederprasselte
Als würde sie uns in dieser
unwirtlichen Gegend
plattmachen wollen
Die Nacht grenzte den Horizont ein
Der tagsüber endlos ins Nichts führte
Unser Leben konzentrierte sich auf wenige Dinge
Verdammt, wir existierten
Und das
war irgendwie
richtig
gut
Bis zum Äußersten
Er spuckte, wenn er sprach
Versprühte Geifer
Mit zu Berge stehenden Haaren
Die, die ihm geblieben waren
Er referierte
Während er hastig meinen Wein leerte
Und mit den Händen rang
Dass das Weiße an den Knöcheln hervortrat
Er hatte einen Ansatz zum Bauch
Angefressen in 25 Jahren Revolutionspause
Jetzt trat er wieder aufs Tapet
Und auf die Barrikaden
Warum gerade jetzt, blieb unklar
Er wollte etwas tun
Egal was
Aber es interessierte keinen
Sie waren zu beschäftigt
Mit der Rettung ihrer Spareinlagen
Und der Spannkraft ihrer Haut
Er fühlte sich wie ein einsamer Wolf in den Abruzzen
Ich bestellte mir einen Espresso
Für meinen Wein gab es eh keine Rettung mehr
Und auch nicht für den alten Aufwiegler
Er würde bis zum Äußersten gehen
Glücklicherweise lag das Äußerste
Knapp hinter seiner Couch
Es bestand also zu keinem Zeitpunkt
Gefahr für die Zivilbevölkerung
Leseprobe aus „Madame Chérie“
4. Oktober 2012
Leseproben Hinterlasse einen Kommentar
Vor der Tür stand das Weihnachtsfest, man hatte sich kurz zuvor, als kein Verzögern einer Entscheidung mehr möglich war, darauf geeinigt, dass ich Heiligabend bei Mama verbringen sollte und den ersten Feiertag mit Papa.
Meine schöne Mama hatte das ganze Haus festlich geschmückt, überall glimmende Kerzen, silberne Glocken und fein mit glitzerndem Lametta bestäubte Tannenzweige, es roch sogar nach Weihnachten, nach Essen und Backen, nach Zimt und schwerem, süßem Nadelholzduft. Der Klang einer sanften Stille hing in der Luft. Im Wohnzimmer stand ein wunderschön geschmückter kleiner Baum, unter dem ich viele Päckchen fand. Ich musste unwillkürlich an den zusammensteckbaren Plastikbaum in meinem Block C2B im Gefängnis denken, an das kleine Bäumchen, das wir mit angemalten leeren Toilettenpapierrollen anstatt Kugeln, mit bemalten Papierfetzen anstatt Lametta und Milchflaschenringen statt Firlefanz schmückten. Ich weinte lautlos, ohne es zu zeigen.
***
Meine Begegnung mit meinem Sachbearbeiter beim Arbeitsamt in Neustadt, kurz nach meiner Rückkehr aus dem Gefängnis, bleibt mir unvergesslich. Es war etwa vier Monate nach meiner Entlassung, als ich vor ihm saß, eine Routine-Einladung, dachte ich anfangs.
Mein Sachbearbeiter sagte: „Also, wir müssen jetzt Arbeit für Sie finden, Frau Mohr.“ Sein Tonfall erschien mir merkwürdig, machte mich misstrauisch.
„Gerne, aber wie soll das funktionieren, kein Mensch stellt mich ein, Sie erinnern sich vielleicht: Ich komme gerade aus dem Gefängnis.“
„Ach, das vergesse ich immer, sie sehen so überhaupt nicht danach aus“, antwortete er.
„Ich weiß, aber mit meinem Lebenslauf bekommt man selten einen Job, speziell in Zeiten wie den momentanen.“
„Da gibt es einen, den könnte ich Ihnen sofort vermitteln, da wird jeder eingestellt, denn die meisten kündigen nach spätestens vier Wochen. Und zwar beim Hühner-Fred.“ Er schmunzelte heimtückisch.
„Wer um alles in der Welt ist der Hühner-Fred?“, fragte ich ungläubig. Kurz überlegte ich, ob der Mann einen Humor hatte, der mir gerade entging.
„Sie kennen den Hühner-Fred nicht? Der steht in einem kleinen Wagen vorm Supermarkt in Haßloch und macht Brathähnchen. Nach einem Tag in diesem Wagen stinken Sie so nach Fett wie noch niemals im Leben zuvor.“
Da beschloss ich, mich umzuschauen, mich selbstständig zu machen, begann mich neu zu definieren. Also ehrlich: Hühner-Fred!
***
Dann kam ein Job, der interessant zu werden schien, den konnte ich unmöglich ablehnen, was ich allerdings besser getan hätte, denn erstens trog der Schein und zweitens überschätzte ich mich. Ich war eben doch nicht die bezaubernde Jeannie, die einfach mit den Fingern schnippte und schon erfüllten sich ihre Wünsche – bling-bling – einfach so.
Der Job bestand daraus nach Nizza auf ein Boot als private Begleiterin zu gehen. Dieses Mal bat der Gast um eine gute Köchin. Sowieso konnte ich gerade Geld gebrauchen. Zwar konnte ich nicht kochen und schon gar keine Haute Cuisine, aber ich war doch die Meisterin in der Kunst des Improvisierens, so überzeugte ich mich selbst und nahm das vielversprechende, verlockende Angebot einfach an.
Eigentlich war ich an jenem Tag richtig glücklich, weil ich vor meiner Abreise den ersten Scheck für mein Buch Pixie erhalten hatte, das erste verdiente Geld durch die eigene Schriftstellerei. Gerne hätte ich mit Howard eine Flasche prickelnden Champagner zum überwältigenden Anlass gekillt. Aber ich konnte mich schon immer auch gut alleine amüsieren, das lernt man als Einzelkind sehr schnell und nach fünf Jahren Gefängnis hat man diese Fähigkeit bis zur Perfektion verinnerlicht.
Der Kapitän erwartete Maria am Flughafen, im Aeroport Nice Côte d´Azur. Seine Statur war eher schmächtig, ein dünner, dunkelbrauner Perser mit einem Dreitagebart und mit mehr grauen als schwarzen Haaren. Die Flughafenhalle war gut klimatisiert, es herrschte emsiges Treiben, Menschen schwirrten aufgescheucht in die verschiedensten Richtungen, sich gegenseitig nicht beachtend, während dieser merkwürdige Perser seinen Escort misstrauisch taxierte. Das ungleiche Paar ging zum Bus vor der Eingangshalle. Die beiden redeten mal Englisch und mal Französisch miteinander, aber die Kommunikation klappte hervorragend.
[…]
Leider entpuppte sich dieser Kapitän schnell als griesgrämiger alter Mann, ein Motzkopf. Dazu kam, dass Marias fideler Plan nicht so leicht durchführbar war wie gedacht. Ja klar, sie war mit einem perfekten Plan gekommen.
Maria hatte sich einen cleveren Menüplan ausgedacht und musste dafür die notwendigen Zutaten einkaufen, also sagte sie zum griesgrämigen Kapitän: „Könnte ich bitte Geld bekommen, um einkaufen zu gehen?“ Während sie es aussprach, drehte sie sich kess leicht zur Seite, sie standen an Deck, sodass der Kapitän der schicken Jacht nebenan sie genau verstehen konnte. Vielleicht würde er auf einen Kaffee mitkommen, er sah nicht schlecht aus, dachte Maria.
Aber ihr persischer Kapitän antwortete schnell: „Ich begleite dich, weil ich mich in Nizza auskenne und damit ich dir beim Tragen helfen kann.“ Dabei schaute er zum Himmel, machte keinen begeisterten Eindruck, aber es war irgendwie klar, dass er keine Widerrede dulden würde. Er war der Mann, der von einer Frau sowieso nichts annahm, schon gar nicht von einer Blondine.
Mist!, dachte Maria. Nicht nur, weil der Kaffee-Plan mit dem Süßen von der Nachbarjacht nicht klappte, sondern vor allem, weil sie geplant hatte, das Supermenü für den heutigen Abend fertig zu kaufen. Auch Gourmetspeisen gibt es heutzutage als Fertigprodukte wie Carpaccio aus Rind und Lachs aus dem Tiefkühlfach, Pesto in der Dose, Nachspeisen bei der Konditorei oder auch aus dem Tiefkühlfach, Fertigsoßen und diverse Suppen, zusätzlich plante sie ein paar tolle exotische Gewürze zu kaufen, um die Gerichte zu verfeinern, ihnen einen individuellen Geschmack zu verpassen, der nicht mehr an Fertiggerichte denken ließ. Schon wär ein Gourmetmenü gezaubert gewesen. Denn Maria war als Gourmetköchin engagiert und das wurde hoch dotiert.
[…]
Trotzdem war das Essen, das sie zauberte, mittelmäßig, einfach nicht super gut, aber sehr arbeitsaufwendig – Köche leisten enorme körperliche Arbeit, das war Maria vorher nicht klar gewesen. Um ehrlich zu sein, brannte ihr am ersten Tag beim Dinner das Steak an, dann sah man dem Tiramisu, obwohl sie mit dem Löffel darin herumgematscht hatte, an, dass es aus dem Kühlregal kam. Am zweiten Tag hatte sie dem Salat viel zu viel Essig und Salz beigemischt und am dritten Tag lies der Fisch auch zu wünschen übrig und das Gemüse aus der Dose wollte einfach nicht wie frisch gekauftes aussehen.
[…]
Niemals wieder würde sie einen solchen Auftrag annehmen!
***
Mein Buch Pixie war beinahe fertig lektoriert. Wenn man vorher nie damit zu tun hatte, hat man keine Vorstellung von dem gewaltigen Arbeitsaufwand, der in solch einem Buch steckt, speziell beim Debüt, da man noch so viel lernen muss. Das ist genau wie ins Gefängnis zu kommen: Beim ersten Mal ist das eine völlig neue, schwierige Situation, aber beim nächsten Mal wird es schon einfacher, das hatten mir alle gesagt, die mehr als einmal im Gefängnis waren.
Vielleicht erinnerte mich der plätschernde, zaghafte Regen, den ich vorm Fenster beobachtete, an meine letzte Reise bevor ich ins Gefängnis kam. Bei strömendem Regen verließ ich Deutschland im Mai 1999. Damals hatte ich keine Ahnung, dass der verregnete Schleier Deutschlands für mehr als fünf Jahre das Letzte sein würde, was ich von meiner Heimat zu sehen bekam.
Wir stiegen hastig in das Flugzeug, um dem nörgelnden Nass zu entkommen. Mein bester Freund Carl war mal wieder mein treuer Reisebegleiter, dieses Mal nach Afrika. Endlich auf dem Sitzplatz – man durfte schon damals nicht mehr im Flugzeug rauchen – machte ich die Flasche Tequila auf, die ich im Duty-free-Shop gekauft hatte. Es wurde uns lausiges Flugzeugessen in einem Plastikcontainer und irgendwelche Weine in weißen Plastikbechern gereicht. Zwischenlandung war in Brüssel, wo ich zu meinem Erstaunen beobachtete, wie genüsslich Rauchende friedlich neben schmatzenden Nichtrauchern saßen. Was für ein rarer und kostbarer Anblick. Und man staune: Sie haben sich nicht gegenseitig umgebracht.
Von Brüssel aus ging es weiter Richtung Benin, Elfenbeinküste, wo ich meinen kolumbianischen Freund treffen sollte, mit dem wir einige Kilos Kokain gegen ein paar Dollarscheinchen tauschen wollten. Wir hatten mittlerweile bereits einige erfolgreiche Transaktionen hinter uns. Das Geld war an meinem Körper in einem Gürtel.
Fast die ganze Flasche Tequila hatte ich schon getrunken, machte mir schon bittere Vorwürfe, dass ich noch eine weitere hätte kaufen sollen, da konnte ich nur noch den Kopf zur Seite meines mir unbekannten Sitznachbarn drehen und es ergoss sich ein Strahl klebriger Kotze über seine maronenfarbene Krawatte, seine Hose in derselben Farbe und über sein jetzt nicht mehr weißes Hemd. Es war mir sehr peinlich. Ich stammelte etwas von wegen Entschuldigung, als er steif aufstand und zur Toilette lief. Komischerweise sagte er kein Wort zu mir und verzog nicht mal das Gesicht.
Leseprobe aus „Schau zurück in Liebe“
29. Dezember 2011
Leseproben Hinterlasse einen Kommentar
Wir waren nicht schmutzig,
Denn wir wollten rein sein,
Rein sein und unschuldig,
Nicht schuldig, wie unsere Väter,
Verfault, wie unsere Mütter,
Heuchlerisch, wie unsere Priester,
Strahlend wollten wir
In den Morgen des Wunderbaren gehen,
Liebend und voller Hoffnung,
Im weißen Land des Inneren
Den Gral zu entdecken, das Herz
Des Heiligen, das Wort, das befreit,
Gott,
Wir waren nicht schmutzig,
Auch wenn unsere Kleider aus Brokat
Ungewaschen, die langen Haare
Ungeföhnt, uns kam es nicht auf
Die Schönheit der Körper allein an,
What’s the ugliness
Of your body,
I think it’s your mind,
Sang Frank Zappa und wir spielten Freak Out!,
Höher als die Sterne
Wollten wir fliegen,
Tiefer als die Meere
Wollten wir tauchen,
We want to show the world what it means
To love,
Jubelten die Jefferson Airplane,
Und so zogen wir aus
Mit Om-Fahnen aus Katmandu
Und den farbigen Blättern aus San Francisco,
Um neu zu werden, bunt und frisch
Wie eine ungeahnt herrliche Zukunft,
Was hatten wir entdeckt?
Dass der Weg nach innen
Berauschender ist als jeder Feldzug,
Um Reiche aus Gold zu erobern?
Unsere Stadt aus Gold
Lag abseits der Autobahnen,
Über die wir rasten,
Unermüdlich, in der fünften Dimension,
Abseits der gepflasterten
Bürgersteige, über die wir schritten
Mit dem Joint im Mund,
Dem Sakrament, das wir uns erwählten,
Weil wir nichts besseres kannten,
Weil wir nicht wussten,
Wie schöner werden
Als der Diamant der Suche
Nach dem alles offenbarenden Geheimnis,
Das wir waren,
Wir ganz allein,
Was kümmerten uns Börsenkurse,
Geld spielt keine Rolle
War die Losung, die ich ausgab,
Und die Anthem of the sun
Der Grateful Dead unser nationaler Gesang,
Auf, auf, die Pforten der Wahrnehmung
Zu stürmen, einzubrechen in die
Dunkelheit des Unterbewusstseins,
Tower opens fire sangen die Fugs,
Break through in grey room
Rief Burroughs,
Hier und jetzt zu sein, auf ewig on the road,
Unterwegs zu Stränden
Der hübschen Mädchen mit ihren Perlenkränzen,
Der unbekümmerten Jungs mit ihren Stirnbändern,
Jeder ein Schamane,
Jeder ein Künder froher Botschaft,
Es gibt ein Leben,
Das nicht verschimmelt,
Es gibt Liebe in all der Grausamkeit
Der Kriege und Schlachten um Schätze und Macht,
Wir sind es, vor denen uns
Unsere Eltern gewarnt haben,
Riefen wir auf Demonstrationen,
War es nicht ein Wellenflug der Erkenntnis,
Durch die Sphären zu streifen,
Good Vibrations von den Beach Boys um uns,
In uns und um uns herum,
Can’t buy me love von den Beatles,
Turn your love light on von den Dead,
Who do you love mit den Quicksilver Messenger
Service singend,
Ja, wen liebten wir?
Die Welt und Gott,
Oder Gott und die Welt?
Was wussten wir
Von Gott? Was wussten wir von der Welt?
Bruchstücke sammelnd an den Lagerfeuern,
In Abbruchhäusern, auf Mondscheinparties,
Umwoben von Magiern,
Zermürbt von Polizei,
Von Paranoia heimgesucht,
Dem Kiffen vertrauend,
Immer auf dem Trip,
Ja, auf dem Trip, freigiebig zu sein
Und alle umarmend
[…]
Leseprobe aus „Kaleidoskopidschi“
3. November 2011
Leseproben Hinterlasse einen Kommentar
Auszug aus Peter Frömmigs Textbeitrag:
FREUNDSCHAFT UND AUSTAUSCH
LANGER JAHRE MIT HADAYATULLAH
Ein Freund zu sein erfordert viel,
Man selbst ist Start, er ist das Ziel, […]
Ein Freund zu sein, heißt sei die Brücken,
Die über Fehler führn und Lücken.
H.H.
Wie es begonnen hat, kann ich nicht mehr genau sagen. Aber es muss mit dem Gedichtband eines Paul Gerhard Hübsch zu tun gehabt haben, „mach was du willst“ war sein Titel. Auf der Rückseite des blutroten Umschlags ist ein Langhaariger mit Bart abgebildet, verschwommen im Hintergrund ein Mädchen und die Mütze eines halb angeschnittenen Polizisten. Ich stellte mir vor, dass hier einer durch die Staatsgewalt abgeführt wird.
Es war 1969, ich lebte damals in Salzburg. Der Titel „mach was du willst“ sprang mir aus allen Auslagen der Buchhandlungen entgegen. Und als ich mit einem gleichaltrigen, gleichjungen Freund zum Rundfunk ging, um in der Literaturabteilung wieder einmal Bücher zur Rezension abzuholen, lag „mach was du willst“ obenauf. Aber nicht ich erhielt diesen Band aus den Händen des Redaktionsleiters, sondern mein Begleiter, den ich als Rezensenten empfahl. Mir kamen nur ein paar Romane zu, die mich kaum interessierten. Der Freund, der aus Kärnten stammte, studierte, schrieb Gedichte und trug immer einen echten Geierknochen aus dem Gebirge, wie er behauptete, sowie eine Maultrommel am Lederbändchen um den Hals. Er hat nie ein Buch rezensiert, und als ich mir „mach was du willst“ von ihm ausleihen wollte, konnte er das Büchlein nicht mehr finden.
Ich kam irgendwie mit dem Autor schriftlich in Kontakt und rasch entwickelte sich ein reger Briefwechsel, eine Brieffreundschaft. Die Mitteilungen von Hübsch waren vorbehaltslos und anregend, so dass sich immer gleich die Lust einstellte, zu antworten. Es lagen bunte Grafiken zwischen den Seiten und manchmal schickte er die kunstvoll gestaltete, von ihm selbst herausgegebene Literaturzeitschrift „törn“ mit. Alle Briefe, die ich von dem Freund über die Jahrzehnte aus Frankfurt erhielt, auch während meiner Amerikazeit, besitze ich noch komplett. In einem der verschrammten Koffer, die in einem Speicherwinkel stehen, sind sie aufbewahrt. Darunter gewiss auch der, in dem er mir von seiner Konvertierung zum Islam berichtete und seinen neuen Namen bekannt gab: Hadayatullah.
[…]
Textbeitrag von Manfred Steinbrenner
Yellow Sunshine
(eine einstmals bekannte LSD-Marke)
Hab’ Blätter silbern gesehen
Decke des Zimmers als Tropfen auf Köpfe.
Bin geflogen, dritter Stock, viermannhoch
Howl singend, Kaddish für die Taube,
ihre Mörder im Wind.
Hab’ Vogelbeeren als Springflut der Stadt,
Antennen am Kreuz, mich selbst
zerplatzen sehen: schlingernde Wehen,
verhängt und verkannt als
Abbild der Brut voller Ekel.
Bin gerädert im Sumpf, Incence-Unschuld
beim Orgasmus gelandet,
uhrenverwerflich als Brücken
vom Jenseits zum Jetzt
Waren gelbrotgold Strahlen
aus Hirnen voll Einfalt, gottvollem Wunsch.
Bin gewandert
die Zeit statt der Himmel,
Drohung statt Versprechen,
Wasser statt Luft.
Hab’ gerochen Begierde am Schaltweg des Einen,
zweierlei Maß in der Tundra des Lichts.
Bin gekrochen in Flüssen, Algen im Tagtraum,
Anker im Trocknen und am Ende war:
nichts.
[ebenfalls erschienen in: Manfred Steinbrenner, „Vom Weißmachen des Umsonsten“, Norderstedt 2010, S. 48]
Textbeitrag von Monika Carbe
der zehnte derwisch spricht
wanderer kommst du nach ankara
verkündige dorten
DUR!
halt inne
hier liegen wir.
wie ihr es befahlt.
DUR! DURUN!
bleib, halt an,
bleibt stehn!
çanakkale, gallipoli,
und die schlacht bei vermondovillers
oder –
war krieg kein krieg in ancak cove,
war krieg kein krieg in gallipoli,
war – leider – krieg
in
şanlı-urfa, erbil,
überall,
auch in arkadien –
war krieg.
DUR! STOPPP …
kriege verwirbeln die zeiten,
auch in unseren breiten.
kämpfe verzwirbeln das du, das wir
zu einem riesenpanzertier.
kriegskind ich – und
knapp ein kriegskind du –
ein wunder, dass wir leben!
wir leben und zaubern und bleiben,
wir lesen und denken und schreiben
– für wen?