Leseprobe aus „Exzess All Areas“

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„Komm, Alter, du hast heute genug Fußvolk gesehen. Lass uns mal in den VIP-Bereich gehen. Du musst unbedingt ein paar von meinen Freunden kennenlernen…“, erlöste mich nun Sascha von meinem Mindfuck. Ich folgte ihm durch die tanzenden Menschen bis zu einer Tür, hinter der sich ein weiterer, ziemlich großer Raum befand.
„Willkommen auf Ibiza, Konny, jetzt lernst du endlich mal die Szene kennen! Hier sind alle wichtigen Leute, verstehsde. Hol mal deine Kamera raus, jetzt gleich bekommst du Promis ohne Ende vor die Linse.“
Verwirrt zog ich meinen Fotoapparat hervor. Das ist also die Creme von Ibiza? Na ja… Enttäuscht schaute ich mich um: Ich sah einige Männer in meinem Alter, die um eine Tischtennisplatte herumstanden, außerdem einen Haufen junger, schöner Mädchen, die gelangweilt in einer Sofaecke rumlümmelten.
Die Luft war geschwängert von Cannabis-Geruch, und auf allen freien Flächen standen leere Gläser und Flaschen herum. Wenigstens konnte man hier rauchen… Gierig steckte ich mir eine Kippe an…
„Hey, Konny, das hier ist DJ Pepe, ein alter Kumpel von mir. Sag schön Bon Jovi zu Pepe!“
„Sascha, komm mal rüber“, rief nun Rebecca.
Jetzt bleib dran, Konstantin. Integrier dich! Mit gesenktem Blick trottete ich hinter Sascha her. Schließlich wollte ich ja an meiner Ausstrahlung arbeiten…
„Hier ist dein Schedule für die Woche. Ich hab einige wichtige Termine für dich ausgehandelt, also reiß dich ein bisschen zusammen, ja? Denk immer daran: Dienst ist Dienst…“
„…und Schnaps ist Schnaps… Schon klar, Rebecca. Hier, Konny, steck mal den Schedule ein, sonst verlier ich den noch. Du kannst ja schon mal draufgucken. Für dein Timing ist das bestimmt auch nicht ganz uninteressant.“
Sascha hielt mir einen Ausdruck auf dem Geschäftspapier seines Managements hin. Leicht ärgerlich nahm ich ihm das Blatt aus den Händen, faltete den Schedule sorgfältig zusammen und legte ihn grummelnd in mein Notizbuch… Was glaubt der eigentlich? Ich bin doch nicht seine Sekretärin… Die hielten mich hier offensichtlich alle für einen totalen Vollidioten, einen Schergen, der die Rolle des persönlichen Assistenten übernahm…
Inzwischen war Sascha bei der Tischtennisplatte angekommen, wo er sein altbekanntes High-Five-Ritual abspulte. Oh Mann, die Typen hatten offensichtlich zu viele Hip-Hop-Videos gesehen… Langsam trollte ich mich ebenfalls Richtung Tischtennisplatte. Mal sehen, ob ich vielleicht wenigstens ein paar interessante Fotos machen konnte…
„Wie sieht’s aus mit einer Partie Nasenrundlauf, Muchachos?“, fragte Sascha gerade in die Runde.
Nasenrundlauf? Wovon zum Teufel redete er denn jetzt schon wieder? Ich war jedoch offensichtlich der einzige, der nicht zu wissen schien, worum es ging, denn die anderen Typen, anscheinend handelte es sich neben DJ Pepe noch um zwei weitere DJs, waren sofort Feuer und Flamme. Das schien ja lustig zu werdenGespannt schaute ich durch den Sucher meiner Kamera…
Was jetzt kam, übertraf alle meine Erwartungen um Längen. Zunächst zückte einer der DJs sein Glasfläschchen und streute je einen Haufen Kokain auf beide Seiten des Netzes. Sascha hackte fein säuberlich das Pulver und legte unzählige kleine Linien, neben denen er einen Tischtennisschläger platzierte. Dann ging es auch schon los: Derjenige, der am Schlag war, zog schnell eine Nase von dem Koks, nahm dann den Schläger in die Hand und schlug den Ball, ließ den Schläger schnell wieder auf die Platte fallen, lief auf die andere Seite und wartete, bis er erneut an der Reihe war. Dabei lachten die Jungs derart, dass sie zwischendurch ein paar Mal hinfielen und kaum wieder aufstehen konnten… Ohne Worte! Das war wirklich ein Haufen Verrückter. Ich fiel in ihr Lachen ein und machte einige Fotos von dieser äußerst skurrilen Partie Tischtennis, nahm mir allerdings fest vor, Stromberg diese Fotos nicht zu zeigen. Mein Chef musste schließlich nicht alles wissen…

 [Seiten 131-132]

*****

„Oi, Mates!! Hört mal auf, hier rumzuknutschen. Wir sind nicht zum Fummeln hier, sondern zum Pokern“, sagte nun Terry und begann, eine Art Spieltisch aufzubauen. Stimmt, das Pokerspiel… Ich lachte laut auf… Mal sehen, ob ich das jetzt überhaupt noch auf die Reihe bekomme…
„Spielen wir um Geld?“, fiel mir besorgt ein. Die würden mich doch nicht erst mal außer Gefecht setzen und mich dann hoffnungslos abziehen…
„Klar, Mate. Aber nur kleine Einsätze, keine Sorge. Ich hab nen Riesenhaufen Zehn- und Zwanzig-Cent-Stücke hier rumfliegen. Du kannst also wechseln. Keine Sorge.“
Terry holte eine große Dose mit Kleingeld unter dem Bett hervor und stellte sie auf den Tisch. Ich begann, in meiner Hosentasche nach Geld zu kramen. Noch 50 Euro… Die würden als Einsatz wohl reichen… Wer nicht wagt, der nicht gewinnt, Konstantin. Vertrau auf deine Fähigkeiten. Jenny und Sascha ziehst du garantiert ab, und was mit Terry ist, werden wir dann sehen… Außerdem war mein Verstand gerade kristallklar…
„Ey, Leute, ich hab gar kein Geld dabei… Ich will aber auch mitspielen“, nörgelte nun Jenny.
„Tja, wie machen wir das bloß? Ich hätte eine Idee“, grölte Terry in die Runde und zwinkerte mir unauffällig zu. „Wie wäre es, wenn wir dir deine Klamotten abkaufen, Jenny? Ich kann die Heizung aufdrehen, dann musst du auch nicht frieren…“
Sascha fiel in sein Gelächter ein und kreischte hysterisch: „Genauso machen wir es! Bist du dabei, Jenny??“
„Warum nicht, ihr Hackfressen? Dann holt mal die Scheinchen raus und sagt, was ihr mir geben wollt“, lachte Jenny und begann, sich auszuziehen.
Was ging denn hier ab? Die würde doch jetzt nicht auch noch einen Strip abziehen? Hier werden aber alle Register gezogen… Verstohlen grinsend blickte ich in Jennys Richtung, neugierig, was als nächstes passieren würde… Tatsächlich, die macht Ernst… Jenny begann, ihren Körper zu einer imaginären Musik zu wiegen und entkleidete sich langsam. Sie zog ihr knappes Kleidchen aus, unter dem sie nur noch einen klitzekleinen Tanga trug. Kurze Zeit später stand sie splitterfasernackt vor uns und blickte uns herausfordernd an.
„Oi, Jenny. Da wirfst du aber nicht gerade viel in den Pot“, sagte Terry. „Ich biete dir 10 Euro für deinen Fummel.“
„10 Euro? Bist du geizig oder was ist los, Macker??!“, rief Jenny lachend. „Das Kleid war teuer!! Wirf ruhig noch eine Schippe drauf!“
„Ich beteilige mich und lege noch mal einen Zehner dazu“, sagte ich plötzlich mutig.
Was ist denn mit dir los, Konstantin? Mein Herz schlug mir bis zum Hals… Der Hammer, wie enthemmend dieses Kokain wirkte, aber ich war offensichtlich ganz mühelos dazu in der Lage, meine feministischen Prägungen über Bord zu werfen… Sie wollte sich ausziehen? Bitteschön… Mann, war das cool, mit den Jungs rumzuhängen und auch mal ein bisschen den Asi rauszukehren… Ich fühlte mich total frei… Außerdem war Jenny wirklich schön anzusehen, wie sie da so nackt vor uns stand. Das war mir locker 10 Euro wert.
„Aha, der Abaza ist also auch mit einem Zehner dabei. Okay, Jungs. Ich mach euch ein Supersonderangebot und schlag ein“, sagte Jenny grinsend und nahm unser Geld in Empfang. Wow, Wahnsinn, wie selbstbewusst die ist… Die hat wirklich überhaupt kein Problem damit, nackt vor uns rumzulaufen… Nicht schlecht…
„Und was ist mit dir Sascha?? Schau mal, was ich hier noch habe…“, rief Jenny und hielt ihm herausfordernd ihren Tanga vor die Nase.
„Tja, jetzt bin ich wohl an der Reihe, in die Tasche zu greifen, Süße. Den will ich mir nicht entgehen lassen!!!“, schrie nun Sascha und kramte in der Hosentasche seines Anzugs nach Geld. „Mensch, scheiße, ich hab nur noch n Fuffi. Machen wir Halbe-Halbe, Jenny? Sonst kann ich ja nicht mehr mitpokern…“, sagte Sascha und schaute Jenny tief in die Augen.
„Okay, Alter, aber nur, weil du es bist. Außerdem hab ich dann 45 Euro, damit mach ich euch so was von fertig, ihr Nullen!“, entgegnete sie zwinkend und warf Sascha ihren Slip in den Schoß.
„Oi, Mates! Jetzt rauchen wir noch ein schnelles Blechchen, und dann geht’s los!“, schrie Terry und reichte mir einen gerollten Schein und ein Stückchen Alufolie mit Kokain herüber. Ob ich wirklich noch mal mitrauchen sollte? Nicht, dass ich mich noch überdosieren würde… Ich horchte tief in mich hinein… Natürlich war ich noch breit vom ersten Blow, aber die Wirkung war inzwischen schon wieder ein bisschen abgeflaut…
Okay, einmal bin ich noch dabei… Ich nahm den Schein und zog den Rauch tief in meine Lungen… Ich musste husten… Bah, das schmeckte komisch… Irgendwie wie verbranntes Plastik… Kaum hatte ich wieder ausgeatmet, hörte ich mein Hirn auch schon klingeln… Hammer!! Das Zeug verlieh einem wirklich Flügel… Binnen weniger Millisekunden bemerkte ich, wie es in meinen Ohren erneut zu rauschen begann… Ich hatte das Gefühl, als würde mir gleich die Schädeldecke wegfliegen… Jesus, Maria und Josef… Das knallte vielleicht… Ich blickte zu Jenny herüber… Wow, hat die geile Titten… Uups… Was war das denn??? Verdammt, jetzt bekam ich auch noch einen Ständer… Kein Wunder… Mein Körper und mein Geist spielten komplett verrückt… Das war wirklich ein Teufelszeug… Hallelujah!!
„Ey, Abaza! Du siehst aus, als würden dir gleich die Augen ausfallen… Was ist los?? Willst du mal meine Titten anfassen?“, ertappte mich Jenny in diesem Moment.
Sie kam zu mir herüber und streckte mir ihre Brüste derart provokativ entgegen, dass ich fast mit meiner Nase zwischen ihnen versunken wäre… Ey!! Was geht denn hier ab??
„Nein… ich meine… also… Hehe…“
Mir blieb nichts anderes übrig, als dämlich aus der Wäsche zu gucken und zu lachen… Natürlich würde ich NICHT ihre Titten angrapschen, aber gucken durfte man doch wohl mal…
„Gucken darf man doch wohl mal, oder? Du hältst mir doch deine Möpse die ganze Zeit unter die Nase.“
„Oi, Mate!! Recht hast du! Ein Wunder, dass wir Jenny nicht schon längst vergewaltigt haben!“, stimmte mir Terry nun zu. „Aber jetzt ist Schluss mit dem Geplänkel, ihr Vollidioten. Jetzt wird gepokert!!“
Terrys Machtwort wirkte Wunder, denn sofort setzten sich alle Beteiligten an den Tisch und warteten auf ihre Karten. Dabei schien sich jedoch keiner so recht konzentrieren zu können, denn alle plapperten und lachten wild durcheinander.
„Kennt jeder die Regeln, Mates?“, fragte Terry.
Ich nickte, Jenny kicherte blöd und Sascha zuckte mit den Achseln.
„Ist doch egal, Terry. Ich glaube, wir haben alle schon mal irgendwann gepokert. Haut schon hin!“
„Oi, Mates. Also, erste Runde, Family-Runde! Der Flop liegt!“
Aha, Terry war offensichtlich ein Vollprofi. Ich legte meinen Mindesteinsatz von 50 Cent in den Pot und betrachtete noch mal genau meine Karten. Da lagen ein Bube, eine Dame und eine Pik-Acht im Flop, auf der Hand hatte ich ebenfalls eine Dame und einen Buben. Bingo!!! Pokerface, Alter! Ich hatte zwei Pärchen! Gar nicht mal so schlecht für die erste Runde… Ich erhöhte den Einsatz und versuchte, möglichst neutral dreinzublicken… Das war gar nicht so einfach, denn das gottverdammte Koks zog mir die ganze Zeit die Mundwinkel in die Höhe… Das ging aber auch meinen Spielpartnern nicht anders, und schon bald brachen wir alle in kollektives Gelächter aus. Der einzige, der zu ein bisschen mehr Ernsthaftigkeit aufrief, war Terry.
„Oi, oi!!! Leute, konzentriert euch! Ich gehe mit Konny mit und erhöhe um 2 Euro! Los, Jenny. Willst du folden oder gehst du auch mit?“
Jenny glotzte blöd in ihre Karten, zuckte die Achseln und warf einen Zwanziger in den Pot.
„Klar, ich erhöhe!!!“
„Oi, Jenny! Bist du doof??? Du kannst doch jetzt noch nicht erhöhen! Willst du nicht erst mal abwarten, bis die neuen Karten ausgeteilt sind?“, schnauzte Terry sie an.
„Nein, Alter. Lass mich mal so spielen, wie ich will!!“, rief Jenny.
„Ich bin raus!“, schrie Sascha und schmiss seine Karten auf den Tisch. Terry und ich blickten uns über den Tisch an. Ich bemerkte, wie er mir dabei leicht zuzwinkerte. Ohne Zweifel, er dachte wie ich, dass Jenny sich gerade um Kopf und Kragen spielte. Also gingen wir mit. Karo-Vier, Kreuz-Zwei, wir checkten durch. Terry hatte ebenfalls zwei Paare, zwei Buben und zwei Zehnen. Strike!!! Da war ich besser. Jennys Blatt hingegen war ein purer Bluff. Sie hatte lediglich zwei Neunen auf der Hand.
„German Virgin!!“, krakelte Terry nun lachend. „Die erhöht den Pot um 20 Euro und hat nur zwei lächerliche Neunen auf der Hand!!“
„German Virgin??“, fragte ich ihn. „Versteh ich nicht…“
„Na, wie macht eine deutsche Jungfrau?? NINE NINE!!!“, grölte er und schlug mir dabei auf den Schenkel…
Ich fiel in sein Lachen ein… Verdammt, diese Engländer… Während Terry und ich uns die Bäuche vor Lachen hielten, wirkte Jenny ein wenig angekratzt…
„Oh Mann, ihr habt mich beschissen! Jetzt will ich sofort noch ein Blech rauchen, sonst bin ich raus!!“
Das ließ Terry sich nicht zwei Mal sagen und präparierte eine neue Runde Blows. Als ich an die Reihe kam, winkte ich ab… Man muss es ja nicht übertreiben… Die anderen akzeptierten das glücklicherweise ohne Widerworte, und wir spielten eine weitere Runde Poker.
Ich weiß nicht, ob es an meinen durch das Kokain geschärften Sinnen lag oder ob ich einfach nur gut drauf war, aber meine Glückssträhne hielt an. Die folgenden drei Spiele gewann ich mühelos und strich dazu noch jedes Mal einen akzeptablen Pot ein. Terry war mir allerdings hart auf den Fersen. Der Typ spielte ziemlich gut, und ich hatte es lediglich meinem Kartenglück zu verdanken, dass ich als Sieger aus den Partien hervorging. Sascha wirkte alles in allem ein wenig lustlos und pokerte ohne jedes Risiko – langweilig… Sobald Terry oder ich seinen Big Blind raisten, war er raus und streckte die Karten. Jenny hingegen ging offensichtlich voll in der Rolle der „Profispielerin“ auf. Schon nach dem ersten Spiel fragte sie lauthals nach einer Zigarre, die Terry natürlich in Sekundenschnelle aus seiner obskuren Drogenkiste herzauberte. Daraufhin steckte sie sich eine Riesen-Cohiba an und monologisierte offenherzig über ihren letzten Pornodreh.
[…]
Leider vergaß sie über all das Gegackere immer mehr, sich auf das Spiel zu konzentrieren und war schon nach der vierten Runde pleite.
„Oi, Gorgeous! Tut mir echt leid für dich, aber du bist raus. Du hast auch nichts mehr am Leib, was man versilbern könnte.  Also halt die Klappe und mach ein hübsches Gesicht“, proklamierte Terry und präparierte eine neue Runde Freebase.

[Seiten 278-282]

Leseprobe aus „beatmanna“

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Das Ende der Literatur
(in memoriam Neal Cassady)

Natürlich kann ich mir vorstellen, jetzt,
Nach Mitternacht am Schreibtisch,
Während betrunkene Beats aus den schwarzen Boxen rollen,
Ich säße auf der Autobahn, ich meine,
Ich bin da und der Asphalt fliegt unter mir weg
Wie ein Pfannkuchen, du weißt schon,
An den runden Enden wird er immer dünner wie ein thin
Man auf dem big table,
Also, ich sitze da wie in einem schäbigen Chevrolet,
Mit offenem Hemd, irgendwie spielt der
Fahrtwind mit und mit meinen Haaren,
Und keiner, der sagt, du mußt mal wieder zum Friseur,
Ich meine, im Gegensatz dazu könnte ich auch
In einem Wald umherstreifen, in einem
Stillen Wald und Silence is golden singen oder poetry
To protect me vor mir in einen holzhaltigen
Notizblock schreiben, mit einem dieser
Kleinen Bleistifte, die bei Ikea rumliegen,
For the whole world des Konsums,
Ich meine, ich könnte mir eine Zigarette anstecken am
Schienenstrang und versuchen, den Weg zu finden,
Den Neal nicht gefunden hat,
Lag da irgendwann irgendwie und war gestorben vor
Seiner Zeit, ich meine, im Bus mit der
Suppenterrine voller LSD-Punsch, da sah die Erde
Noch neonbunt&kund aus und Pfadfinder
Stiegen ein&aus und malten sich die Gesichter mit den
Farben an, die der Sonnenuntergang des Abendlands ausspie,
Und er war dabei, ja, wie auf einem dieser
Festivals, wo die haarigen, kleinen Kinder rumlaufen,
Weil sie nicht einverstanden sind mit der
Wallstreet und dem Kuckucksnest in dem
Vorgarten ihrer Vorväter, turn your loved ones on,
Schreiben sie auf Plakate mit hageren Gesichtern und Gesten
Wie von Übergestern als wären sie in einem
Geklauten Oldsmobile unterwegs nach Denver oder Chicago,
Und der Würfel rotiert in ihrer Blutbahn,
Und sie klettern die Fassaden hoch,
Um verirrte Blumen zu begießen,
Die ganze Zeit über die Sehn-
Sucht im Ohr, daß jemand ihren Namen ruft,
Horse without name / the desert is no game / and I would
Not feel so all alone, bis das Geschrei aus den
Nebenstraßen quillt wie ein nebeliger Pop-Song aus einer
Radiohitparade, die du auf einer endlos gradgezogenen
Landstraße, mit miles to nowhere vor dir und
Einer Erinnerung an teures Parfüm hinter dir,
Aus dem Äther holst, und
Du schnüffelst, ist das das, was du wolltest?
Müde geworden wie von zuvielen Gigs mit zu wenig Money?
Ausgelaugt von den brutalen Sonnen auf den Einmann-Banditen-
Apparaten der letzten verwegenen Spielhöllen
Des UNtoten-Landes?
Schweinige Nackenfratzen in Alpträumen,
Oh Gott, wie auch immer,
Es kommt noch schlimmer, unkst du, um dem Schicksal der
Roten Laterne zu entgehen auf den Blue Highways,
Auf denen die Spielleute tanzen und die Wahrsager rotieren,
Wenn der Grizzly herantappst und um Erdnüsse buhlt,
Ja, so verrottet & verlogen, so uneinsichtig
Wie eine schusselige Butterblume,
Die im Rinnstein ihr Domizil aufgeschlagen hat,
So schleppst du dich durch die Geschichte,
Blasse Briefe in der Brusttasche,
Eine zerknitterte Packung Camel in der Hose,
Das Gesicht adlerscharf,
Die Augen zugekniffen, wie ein dickes, altes Buch, in dem
Ein abgebranntes Streichholz für einen winzigen Spalt
Freiluft sorgt, ach, und du willst nicht vergeben
Den Kerlen, die dir das wenige gegeben haben,
Das dir keiner nehmen kann,
Weil du es nicht selbst geschafft hast?
Ich bin noch nicht zu Ende,
An diesem großen Schreibtisch inmitten der Wüste Nevadas,
Wo sie Neal gefunden haben, ausgemergelt,
Ohne die letzte Ration Wasser aus der Feldflasche getrunken
Zu haben wie jemand, der meint, sparen zu müssen
Für eine Zeit am Lagerfeuer,
An dem tote Spaziergänger Rast machen,
Hey, Coyote,
Hey, Möndchen,
Hey, Wendigo, Dingo, Silberpferd singend,
Sich dabei seltsam bewegend,
Und die flames got higher,
Und die Sturmwolken brausen wie Wildgänse durch die Nacht,
Und die Teufel sind los,
Und du hockst in einem schrottreifen Cadillac,
Den du einem Junkie abgekauft hast,
Und das Country-Radio spielt die Batterie leer,
Und du mußt kotzen,
Aber weißt nicht wohin mit dem Schmodder,
Alles muß raus,
Last Exit Sale,
Stand auf dem verblichenen Plakat an irgendeiner Bretterbude,
Die dir in deinen unwirtlichen Träumen in den Kopf kam,
Wo hast du sie zuletzt gesehen?
Immer noch der Blues um eine verstrichene Liebe?
Immer noch der Versuch, den Boden unter den Füßen zu verlieren,
Der mit den Glassplittern ungezählter Whiskey-Flaschen besäte,
Der mit den vielen Tickets ausfransender Konzerte in
Irgendwelchen verrauchten Existenzialistenbars,
Wohin dich eine blonde Mähne gezogen hat,
Gestern wars / bleicher Rauch stieg aus den roten Bars,
Haben sie gegröhlt,
Als sie zum Grab schlenderten,
Mit gezogenen Hüten,
Mit stierer Miene,
Mit einem Gefühl, als hätten sie eine Band in den Adern,
Mit schlechtem Gewissen, weil es in den Fingern zuckt,
Und im Vorderhirn der Wunsch nach einem heißen
Becher Kaffee und einer Chesterfield ohne Filter,
Und wälzten den Stein.

Leseprobe aus „status geändert“

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KURZER PROZESS frei nach Kafkas „Der Prozeß“

+++ eins vorneweg: / das gesetz sucht nicht etwa die schuld / sondern wird
von den schuldigen angezogen / & da es von den schuldigen angezogen wird
/ ist die schuld niemals beim gesetz zu suchen +++

// die sache war eigentlich klar: / jemand musste joseph k. verleumdet
haben / denn eines morgens taten sich ihm unvermittelt / unbekannte
tiefen auf / die ihn in ein labyrinth zogen / dessen gestalt von tag zu tag /
wucherte & ihm stäbe setzte / wo keine stäbe waren //

++ damit das klar bleibt: / er ist ja vorerst nur verhaftet / weiter nichts
/ keine große sache & über laufende verfahren / wird sich grundsätzlich
nicht geäußert +++

// doch jetzt gab es unsichtbare wächter / wände aus gelächter & ein vorwurf
/ der nirgendwo zu fassen war / der vorwurf aber war noch da / er
war ganz nah & schob sich / unmerklich nun immer näher / bis er joseph k.
im nacken saß //

// dort sitzt der vorwurf gut / & wandelt sich in schuld / ganz langsam
zwar / doch wandelt sich mit viel geduld / & sorgt dafür dass niemand /
nach beweisen für ihn fragt / er sorgt dafür dass jeder nur noch / nach
beweisen für die unschuld fragt //

// bald wusste jeder wie es um ihn stand / bald wusste man so allerhand
/ von verfehlungen auch noch so kleiner art / bald wusste jeder eine
eigenart an joseph k. / die ihn in frage kommen ließ / für jede ungeheure
tat / bald wusste joseph k. / selbst nicht mehr so genau / wer er denn
eigentlich noch war //


STATUS GEÄNDERT

morgens nach dem aufstehen brauch ich immer // etwas zeit für mich –
aber nicht im badezimmer // nein – ich log mich ein, check mein profil
// meinen status – wie geht es mir? // ich muss wirklich jeden morgen //
noch mal eben schnell –: na du kennst das wahrscheinlich // wir sind ja
freunde jetzt: du und ich // und deine freundin, wir sind alle miteinander
vernetzt // wer kennt wen die welt ist ein dorf // das ist wie aus dem
fenster schauen

hallo! du wurdest gegruschelt!
du hast drei neue nachrichten
acht deiner freunde haben sich heute schon in der Nase gepopelt!
ja nee, echt??? na dann mal schnell was
auf die pinnwand tippen:

copy, paste & ab dafür
copy, paste & ab dafür
copy, paste & ab dafür
copy, paste & ab dafür

hey, was ist das denn? meine passion: prokrastination
das ist ja ne geile gruppe! – das gefühl kenn ich, aber TOTAL. da muss
ich unbedingt rein!
du bist bereits in zu vielen gruppen mitglied! – was bin ich? – du bist
bereits in zu vielen gruppen mitglied!
Ihr könnt mich mal! Ich trete aus! Und sowieso, ständig wird man hier
abgelenkt!

PROFIL: DEAKTIVIERT! — Ihre Daten bleiben gespeichert für den Fall, dass
Sie ihr altes Profil später wieder herstellen möchten.

Buschfunk-Sprecher:
Einen wunderschönen guten Morgen an alle geltungssüchtigen Selbstdarsteller
da draußen, hier ist wie immer euer Buschfunk mit den neuesten
Nachrichten aus allen Ecken des World Wide Web. Wie die Stimmung in der
westlichen Hemisphäre ist, erfahrt ihr bei uns. Wir haben die neuesten
Statusberichte für euch: Community Neeeeeeeewsflash!

Meldung 1: Hab mir gerade etwas Schorf abgekratzt.

Meldung 2: Wann krieg ich endlich diese verdammte hausarbeit fertig?
Leute! Aber die Party gestern war echt geilo! Coole Party, Thorsten!

Meldung 3: Scheisse ey. Mind. 8 leute grad gelöscht u 2 fremde hinzugefügt
weil das iphone total kacke ist! Sry people mag euch trotzdem

Meldung 4: juhuuuu neue haare!!!

Meldung 5: Mir reichts für heut, ich geh schaukeln….

bin in die wirklichkeit transferiert // sonne auf der haut und wind im haar
// hier draußen sind profile anders codiert // ich chatte mit neu geaddeten
freunden // smalltalk hier, smalltalk bla // ob ich im netzwerk bin, fragen
sie // hat mich angekotzt, sage ich // hat mich genervt // hab jetzt meine
eigene realität // we stay in contact anyway // na klar, sagen sie – see ya,
have fun // — und wieder daheim herrscht datenstille // nur das knistern
in der plattenrille /kenne sollten das unbedingt erfahren!
Just subscribe and stay in contact with your friends!

bin wie neugeboren wieder da // neues profil neues leben neue freunde //
endlich nimmt man mich wieder wahr // kann sich jemand noch dran
erinnern // an die zeit vor dem großen netzwerk? // vor der digitalen
evolution? // jetzt bin ich könig // hier kann ich’s sein // hab alles unter
kontrolle // das netzwerk auch // speichert alles – weiß alles – hebt alle
grenzen auf // aber auch ich heb mich auf // ich existiere 2mal 3mal 4mal
// lebe mein leben im plural – verabschiede mich von jeder virtualität //
das mit der pluralen identität // ist mein realer lebensentwurf

Buschfunk-Sprecher:
Das wars vom Buschfunk für heute! Schaltet auch morgen wieder ein, wenn
eure Daten-Sicherheit am Hindukusch verteidigt wird…und vergesst nicht:
wenn ihr es nicht postet, ist es nicht passiert.

Leseprobe aus „Kreisklassenhölle“

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Kapitel 1
Im Zeitraffer mit Hubert Wulff

Nein, ich möchte hier nicht mein komplettes Leben nacherzählen;
es wäre zu mühsam und uninteressant. Wie ich bereits
erwähnte, verlief ein Großteil davon relativ normal, und
was sollen sentimentale Reflexionen über meine Schulzeit beispielsweise
aussagen? In der Grundschule erbauliche Lieder
singen oder mit dicken Wachsmalstiften konzentrische Kreise
auf kratziges graues Recyclingpapier kritzeln, solche Erinnerungen
erfüllen manche Erwachsenen mit behaglicher Melancholie,
aber an einem solchen Zustand habe ich keinerlei
Interesse. Dazu habe ich als schmächtiger Spätzünder von zu
vielen verfrüht sackhaartragenden Sportskanonen zu oft absichtlich
zu viele Fußbälle an den Kopf geschossen bekommen,
als daß es ein lustiges Osterhasenbasteln aus buntem
Tonpapier gäbe, das diese Schmach jemals wieder ausbügeln könnte.

Und mein Leben außerhalb der Schule? Natürlich könnte
ich näher auf die Sonntage eingehen, an denen ich in Begleitung
meines Vaters alle zwei Wochen auf den Dorfsportplatz
trottete, um das jammervolle Rumpelgekicke unserer
Gurkentruppe in der Kreisklasse gegen irgendwelche Kombattanten
aus noch öderen Kaffs hinter den sieben Bergen bei
den sieben Zwergen zu schildern. Da stand ich also nun auf
der Geraden, den vergeblichen Versuchen meines Vaters zu
meiner Identitätsstiftung relativ hilflos ausgeliefert, den Blick
starr geradeaus, und trug ein Eis am Stiel oder eine Flasche
Limo wie ein Zepter, als Insignien eines Reiches, das mir damals
schon absonderlich fremd erschien, während mein großer
dicker Stammesfürst Papa Wumba Papa Tumba mit
atavistischer Kraft in unregelmäßigen Abständen ein »Gerald!
«, »Volker, nach rechts!« oder »Michel, abgeben!« über
den holprigen Rasen hinwegröhrte. Doch auch dies würde
meine eigentliche Intention noch nicht einmal peripher streifen.
Denn das war lediglich relativ harmlos hirnlähmende
Langeweile, aber der richtige Schmerz ließ noch ein paar
Jahre auf sich warten: beispielsweise wegen der Akne, die
mein ganzes Gesicht in eine topographische Landkarte verwandelte,
gehänselt zu werden und zwanzig Körbe von Mädchen
heimzubringen, bis sich endlich eins erbarmte. Es waren
Momente unbeschreiblicher Erniedrigung. Dennoch bleibt das
Ganze im Endeffekt völlig uninteressant. Zwar erfüllen mich
diese beschaulichen Schnappschüsse aus der Blüte meines Lebens
vereinzelt immer noch mit Zorn und gelegentlicher
Rachsucht, doch haben sie letzten Endes nichts damit zu tun,
was ich eigentlich sagen will. Es wäre zu beliebig. Zuviele kennen
diese Geschichten und haben sie größtenteils unbeschadet
überstanden, ansonsten sind sie tot oder in psychotherapeutischer Behandlung.
Darum weigere ich mich auch, um wieder zum Ausgangspunkt
zurückzukehren, meiner verdammten Schulzeit mehr
Aufmerksamkeit zu widmen, als sie es verdient. Denn im Endeffekt
war sie nur ein erbärmliches Furunkel am Hintern der
eigentlichen Magna Mater, des Kaffs, des gottverdammten
Kaffs. Ich behalte mir deshalb vor,mich auf für meine heutige
Entwicklung relevante Ereignisse zu beschränken, um den sicherlich
unzureichenden Versuch zu wagen, dadurch die Seele
des Dorfes offenzulegen. Daraus werde ich dann Schritt für
Schritt die für mich endgültigen Schlußfolgerungen ableiten.
Um damit aber überhaupt einmal anzufangen, fehlt noch
jemand. Laßt uns nun also den heimlichen Hauptdarsteller
unserer lustigen Geschichte begrüßen, denkt euch jetzt einen
Tusch für den Capo di tutti capi:
Hubert Wulff.

Sein und mein Leben waren auf gewisse Art undWeise miteinander
verknüpft, das wurde mir rückblickend klar, und
das, obwohl ich seine Bedeutung hierfür jahrelang völlig
falsch eingeschätzt hatte. Doch dann kam der Augenblick, in
dem sich unsere Wege endgültig kreuzten und der uns zusammenführte,
ironischerweise an jenem kalten Januartag,
an dem er sich zum letzten Mal im Dorf zeigte.
Damals, es war ein knappes halbes Jahr vor dem Ende meiner
Ausbildung zum Altenpfleger, wohnte ich noch bei meinen
Eltern, bevor ich im Sommer des gleichen Jahres im Dorf
eine Zweizimmerwohnung bezog.
»Sieh mal an, der alte Wulff ist auch wieder unterwegs«,
sagte mein Vater, sich von seinem Nachmittagskaffee am Küchentisch
erhebend, mit Blick aus dem Fenster.
Auch ich sah hinaus. Hubert Wulff auf seinem täglichen
Spaziergang, schon seit Jahren um die gleiche Uhrzeit, und
immer dieselbe Strecke. Der König besichtigte sein Reich.
Doch an diesem Tag war irgendwas anders. Seit meiner frühesten
Kindheit hatte ich den alten Bastard fast täglich hier
entlanglaufen sehen; doch an diesem trüben Nachmittag
übte der Anblick eine seltsame Faszination auf mich aus, und
seine Präsenz erschien mir übermächtig. Vielleicht spürte ich
auch bereits instinktiv, daß dies sein letzter öffentlicher Auftritt sein würde.

Leseprobe aus „Marock’n’Roll“

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Im Frühjahr 1969 fuhren meine Freundin Heidi und
ich nach Marrakesch. Ich hatte meine psychische
Gesundheit durch zu viel LSD ziemlich ruiniert
und hoffte, in Marokko Frieden zu finden und mich
zu regenerieren. Von dieser Reise handeln diese
Gedichte. Inspiriert wurden sie durch Florian
Vetsch und seine Frau Bouchra, die aus Marokko
stammt. Ihre Liebe zu Tanger eint uns.

Frankfurt, Frühling 2010

 

Offenbarung

Die fetten Schlangen drangen aus mir,
Wanden sich um mich, feist, böse,
„Keine Angst mehr“, rief ich und zog
Mir das Hemd aus, aber den Schlangen
Machte das nichts aus, sie wucherten
Weiter, ich rief erneut etwas, vielleicht
„Keine Verzweiflung mehr“, oder so,
Es nutzte nichts, ich zog mir die Hose
Aus, Heidi starrte geradeaus, der
Trip, den ich am Morgen in Chechaouen
Geschmissen hatte, wurde immer stärker,
Bis ich es nicht mehr aushielt,
„Halt das Auto an“, schrie ich, Heidi
Fuhr stur geradeaus, „Halt an!“, brüllte
Ich, und dann gab sie nach, vielleicht
Hatte ich ins Lenkrad gegriffen,
Ich riss den Wagenschlag auf, riss mir
Die letzten Fetzen Stoff vom Leib,
Nur das Rosenkreuz, die Kette mit dem
Bild des Gekreuzigten, behielt ich an,
Und dann rannte ich davon,
Hinein in die Steppe, egal wohin,
Nur weg, nur weg, irgendwann drehte
Ich mich um, als Heidi in der Ferne schrie,
„Ich liebe Dich“, und dann kam eine
Kraft über mich, ich fand mich wie fest-
Gewurzelt, mein Kopf wand sich, bis
Ich in den strahlend, friedlich blauen
Himmel schaute, und plötzlich brachen
Aus meinem Herzen Worte, ein Gebet:
„Oh Allah, bitte reinige mich!“,
Rief ich in den Himmel, und siehe, ich
Wurde besänftigt, eine Ruhe kam über
Mich, jenseits eines Hügels erklang
Eine Flötenstimme, und ich trottete den
Langen Weg zurück zum Opel Blitz,
Und Heidi ließ den Wagen an, ich zog
Mir meine Kleider wieder über,
Und wortlos fuhren wir nach Marrakesch.

 

Die andere Seite

Ich hatte mir den Körper mit
Acid vollgepumpt, den Kopf
Zugekifft, bis die Gedanken schief
Gingen, und nun hockte ich in
Einer spinnverwebten Ecke meines
Schädels und wusste nicht mehr
Aus noch ein, nur,
Dass ich auf die andere Seite
Kommen müsste, was immer sie sei,
Das war mir klar, während die
Sonne auf das Auto prallte und
Uns die Zunge zu verdorren drohte,
Schließlich hielt Heidi den
Wagen an, war da nicht so etwas
Wie Meer in der Gegend? Sie
Zog sich den Badeanzug an, ließ
Mich in meiner Verworrenheit
Zurück, und ich starrte auf die
Gesteinsbrocken am Straßenrand,
Bis sie erfrischt zurückkehrte,
Schau, sagte ich, auf einem
Stein stehend, vor mir eine Kuhle,
Dahinter ein anderer Stein,
Und ich tat so, als würde ich
Springen, zauderte, zögerte,
Die andere Seite war so fern,
Das schaffst du nie, sagte Heidi
Nüchtern, ich resignierte, nun
Hatte ich endgültig verloren,
Und ich trabte zu unserem
Opel Blitz, trostlos, trostlos.

 

Der Gipfel

Die tägliche Wanderung aus der Talsenke
Zum Gipfel, gradlinig wie eine Zeder,
Oder verschlungen wie eine Weinranke ist der Weg,
Qualvoll oder erholsam die Rast,
Oh Stolpern, das mich zurechtweist,
Oh Müdigkeit, die vor Überheblichkeit schützt,
Oh Lust, im Inneren unter der Spitze zu stehen,
Und sich vor dem Abstieg nicht zu fürchten,
Oh Ärger, wenn du ins Abseits gerätst,
Oder mogelst und so tust,
Als würdest du steigen,
Während du in Zweifel verharrst,
Wen willst oder kannst du betrügen?
Und das sehnsuchtsvolle Erwarten des nächsten Kusses,
Bewundernd den Krokus, den Hibiskus, das Couscous
Mit dem zarten Hammelfleisch, den Rosinen und
Mandelsplittern, daneben die warmen Tomatenscheiben,
Wir gürten uns, ziehen die Schuhe wieder an,
Ist da nicht ein Schimmer des Mondes in den Sonnen-
Strahlen, und in unseren Augen nicht ein
Sandkorn, das zur Perle reifen lässt?
Wie schön, rotes Wachs zu sein
In deiner Hand,
Wie sanft dein Haar,
Wenn ich mich krümme,
Um die spitzen Steine aus dem Weg zu räumen,
Du, barfuß und durch den Vorhang der Tränen schauend,
Ach, nicht Falke sein, nicht Phoenix,
Nicht Taube, nicht Rotkehlchen,
Nur Ohr, das das Echo in sich aufnimmt,
Das deine Sadschda in der Wüste auslöste.

Leseprobe aus „Taschentiger“

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lange wege (holger sasum)

lange wege
sind immer etwas spaet
wenn alles normal laeuft
dann kommen sie wenigstens an
doch wenn du extra viel glueck hast
dann kommst du noch weiter
es ist gegen 2 am morgen an einem bahnhof im industriegebiet
du gehst mit 3 taschen
und einem extra seltsamen gefuehl
als waeren sie mit gold gefuellt
ueber eine 4 spurige strasse
auf der dich die fahrplaene verscheissern

manche sachen machst du nur mit geld
das du an der falschen stelle sparst

das beruhigt dich
im letzten licht im bahnhof
bist du reich und aengstlich und geizig
beschattet von schweren augen

ein gefuehl:
9 sprachen die ich gleichzeitig spreche
oder
das gefuehl das mich warnt
wenn du jetzt zusammen klappst
kann dich niemand hoeren
dann wirst du sterben
und sie werden auch sterben
und wer wird das zusammen kehren
der friseur und seine haarige affaere

also sitzt du auf 3 taschen voller gold an einer stelle
auf der suche nach einem motiv
das in die gegend passt
und du weisst du kriegst nur eine
gute mischgegend maximal
wenn du an blut sparst

long ways (holger sasum)

long ways
are always a little late
when everything goes straight
at least they get to where they
want to go
but if you are extra lucky
you‘ll reach even further
it is twoish in the morning at a
station in the industrial park
you go with 3 bags
and an extra strange feeling
as if they were filled with gold
across a four-laned road
where the schedules take you for a ride

some things you only do with money
that comes from misplaced saving

that keeps you calm
in the last light in the station
you are rich and scared and stingy
tailed by heavy eyes

a feeling:
9 languages i am speaking at the same time
or
the feeling that warns me
if you‘re collapsing now
nobody can hear you
then you will die
and they will die too
and who will sweep it together
the barber and his hair affair

so you sit on three bags filled with gold at a spot
searching for a motive
that fits the scenery
knowing you‘ll only get a good mix at max
when you cut short the blood

Zuckerzone 06 (Andreas Wagner)
Wie ein Besuch der Frankfurter Kulturzone 06 zum realkapitalistischen Happening wurde

Das hört sich doch eigentlich gar nicht so schlecht an, was die FAZ am 15.07.2006 aus der »Kulturzone 06« zu berichten weiß: von einem »Gründungskongress für eine Wissenschaft von allem und jedem«, unterstützt von Gegrilltem und Gezapftem ist da die Rede, state of the art und finanzstark zugleich – eigentlich unvorstellbar für einen Studenten der Geisteswissenschaften an einer deutschen Durchschnittsuniversität. Auch die Ankündigungen auf ganzseitigen, nicht nur auf der Designebene kryptischen, Anzeigen wecken einige Tage zuvor bereits ein gewisses Grundinteresse, das von eigenen Assoziationen weiter angeheizt wird: Interzone, Twilight Zone, Kulturzone… – wenn man die Möglichkeit hat, einen solchen Ort zu besuchen, sollte man sie nutzen.

Doch wie enttäuschend dann die Realität: ein Panel, dessen Teilnehmer – jedenfalls an diesem Samstagnachmittag – die beeindruckende Leistung vollbringen, meilenweit an einem so diffusen Thema wie »Sinn, Macht, Moral« vorbeizureden, was aber vielleicht auch einfach daran liegen mag, dass Herr Scobel gerade erst »von der Arbeit« kommt, Herr Matussek kurzfristig absagen musste und Frau Selim von ihrem privaten Kampf mit der englischen Sprache aufgerieben wird. Sei´s drum: es gibt ja noch den Culture Club, in dem man in der Filmlounge einigen hundert Gläubigen dabei zusehen kann, wie sie eine riesige Sanddüne mittels Schaufeln »bewegen« möchten, grandios scheitern, dies aber nicht einsehen wollen und sich einfach selbst feiern. »When Faith moves Mountains« ist der Originaltitel, auf deutsch etwa »Wenn Subventionen Filmprojektoren bewegen«. Auf diese Enttäuschung folgt dann der allertraurigste Anblick der ganzen Kulturzone, die vollkommen kinderfreie, von ein paar Erwachsenen in Beschlag genommene »Kinderakademie«. Vermutlich hochmotivierte Pädagogen haben hier allerhand kreative Spiele für die Kinder vorbereitet, die die Kongressteilnehmer nicht nur statistisch nicht zu haben scheinen. Auf einmal ist sie präsent, die demographische Katastrophe, von der überall die Rede ist und eine Frage taucht auf, deren Beantwortung zu diesem Zeitpunkt unendlich entfernt erscheint und räumlich doch so nahe liegt: wo sind die denn, wenn man sie mal braucht – die Kinder?
Verlässt man die Messehalle, um etwas in der Sonne auszuspannen, fallen einem plötzlich zahlreiche Familien auf. Ein Erfolg der Kinderakademie? Nein, wie ein kurzes Nachfragen bei einem Familienvater ergibt, der seinen Kinderwagen nutzt, um Unmengen von Müllermilch und Chio-Chips zu befördern. Vielmehr hat der Rewe-Konzern mit seinem »Minimal Happy Family Day« heute die Kindererziehung in Frankfurt übernommen. Nur wenige hundert Meter vom Veranstaltungsort der Kulturzone tut sich mitten auf dem Messegelände ein Paralleluniversum auf, auf das man so nicht vorbereitet war: auf der Bühne steht Matthias Reim, von Solarium und Schuldennot sichtlich gezeichnet, nur mit einer offenen Cargoweste und zu kurzen Hosen bekleidet. Er singt »und immer wieder seh´ ich dich, durch getöntes Plexiglas« für die Eltern, während die für die jüngeren bestimmte Boyband US5 wohl schon zum nächsten A-Event unterwegs ist.

An die Bühne schließt sich ein riesiger Open-Air-Konsum-Freizeitpark an, dessen einzelne Buden, Zelte und Wagen von den Markennamen des Minimal-Sortiments nur so wimmeln. Hier bekommen klebrige, kleine Hände alles, was für einen zünftigen Zuckerrausch nötig ist: Capri-Sonne, Coca-Cola, Müller-Milch, Fruchtzwerge. Manchmal werden die Produkte verschenkt, was dann zu Menschenansammlungen führt, in denen sich recht häufig diejenigen »Kinder« mit Bartwuchs und 90 Kilo Kampfgewicht gegen die unliebsame Konkurrenz aus Kindergarten und Grundschule durchsetzen, dann wieder werden die Eltern angehalten, riesige »Vorteilspackungen« der genannten Produkte zu kaufen. Das wird von den Erziehungsberechtigen auch pflichtbewusst getan, schließlich werden ja auch sie von Rewe erstklassig unterhalten – vertreten durch die Firmen Krombacher und Schöfferhofer etwa, oder die zahlreichen Grill- und Frittierstationen. Bei Temperaturen von über dreißig Grad wird nach ein paar Weizenbier wohl kaum noch über Mehr- oder Nährwert der Vorteilspackungen nachgedacht. Dies erklärt dann auch, warum zahlreiche Kinder den Weg nach Hause am Samstag widerwillig zu Fuß und nicht im gemütlicheren Kinderwagen antreten müssen – ein Schaden für die teilweise erstaunlich rundlichen Körper der Kleinen muss deswegen aber wohl nicht angenommen werden.
Den größten Zulauf auf dem Gelände hat natürlich der Coca-Cola-Stand; auch Fünfjährige unterscheiden auf dem Happy Family Day intuitiv Premiummarken von wenig glamourösen Großmolkereien. Außerdem gibt es hier auch die meisten Geschenke: Goleo-Plüschfiguren, die doch schon während der Weltmeisterschaft niemand haben wollte, werden aus den Händen der mit allen Wassern gewaschenen und mit Nerven wie Drahtseilen ausgestatteten Promotion-Arbeiter urplötzlich zu heißbegehrten Reliquien der Coca-Cola-Religion. Was der 40jährige Mann im Unterhemd allerdings mit gleich dreißig der Figuren anfangen will, bleibt sein Geheimnis. Viel interessanter wäre es aber sowieso gewesen, diesen Stand mit einigen Adorno-geschulten Referenten der Kulturzone zu besuchen. Wahrscheinlich wären ihnen die Tränen gekommen, wenn sie beobachtet hätten wie hunderte von Kindern und dutzende Erwachsene abwechselnd ekstatisch »Nestea« oder »Coca-Cola« skandierten, je nachdem welches Werbehandtuch der Chefeinpeitscher gerade der begeisterten Menge präsentiert.

Wieder zurück in den klimatisierten Räumlichkeiten des Messegeländes, kann der Besucher dieses Top-Events, das Frankfurt an diesem Wochenende zum Nabel realgesellschaftlicher Avantgardebewegungen gemacht hat, wieder ganz gemütlich in den etablierten und erstarrten Kulturbetrieb des anderen, ungleich konventionelleren Events, nämlich der Kulturzone 06 eintauchen. Bei unaufdringlichen Downbeats und gepflegten Getränken kann er sich dann wieder der Zukunft von Kunst und Gesellschaft widmen – Kindergeschrei wird ihn davon sicherlich nicht ablenken.

Leseprobe aus „Großtyphien schlägt zurück“

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Freiheit für Großtyphien und den Wald, steht da geschrieben, wie nett! Aber machen wir einen Schritt zurück und schauen uns das Denkmal in seiner ganzen Schönheit an: Ein Held, in Granit gehauen, aufgerichtet auf zwei Beine steht er da, stolz und monumental, unser aller Ideal! Die Rechte mit Wurfspeer gen Himmel gereckt, Blick in die Ferne, im obersten linken Arm ein Schild mit großtyphischem Wappen, weißes Eichblatt auf schwarzem Grund, die mittleren Beine darunter tragen Schleudern: Links die Sehnsucht – Steinsplittermunition – rechts, etwas größer, der Befreier für die A-Granaten, der Gürtel voller Munition. Ein schönes Symbol für unsere Nation: Hart aber gerecht, mit allen uns zur Verfügung stehenden Waffen, haben wir im ganzen Wald die Demokratie verteidigt, ja tun es immer noch, werden auch nicht davon ablassen!

Und wo stünde es besser als hier, direkt an der A1, der wichtigsten Ameisenstraße unserer Insel, wo es Tag für Tag Zehntausenden neuen Mut gibt: Den Transportmeisen mit ihren schweren Karren, unseren strammen Soldaten, wenn sie morgens schon marschieren und all den Kurieren, die auf Asseln vorbei galoppieren!
Aber was ist das? Große Schatten, die sich über die Straße bewegen, alles schaut zum Himmel, der Fluss kommt ins Stocken, die Trommeln lauter und lauter – jetzt kriecht das Dunkel an der Statue empor, padam, padadam – Schmeißfliegen, brummt ein alter Krieger, und schwer beladen. Was machen die denn hier? Auch uns ist das nicht geheuer, schnell woanders hin.

Unser junger, starker Präsident: Seriös, aber vital – stets in der richtigen Mischung – grüne, ausdrucksstarke Augen, wenn es drauf ankommt leicht hypnotisch, die mächtigste Ameise des ganzen Waldes. Wir haben das Schicksal der Nation gerne in seine Hände gelegt: Großtyphien liebt ihn, wie sein triumphaler Wahlerfolg unlängst bewiesen hat. Schließlich geht es bei uns nicht zu wie bei den unzivilisierten Blattschneidermeisen oder den vielen Völkern am östlichen Ufer. Gerade isst er zu Mittag: Ameisenbrot mit
Pilzen und Honigtau, er mag es einfach.
Diese halbe Stunde des Tages verbittet er sich jede Störung, man sagt, er danke Sumsa, dem Wächter aller Sammler, schmunzele zufrieden vor sich hin und kaue jeden Bissen dreimal. Wir wissen ja: Er wird sich danach, sprudelnd vor Tatendrang, wieder in die Arbeit stürzen, Entscheidungen fällen, Sitzungen leiten, Pressekonferenzen geben. Also gönnen wir ihm seine Ruhe und schauen uns ein wenig um, weg aus den langweiligen Schreibstuben im Regierungskomplex und hinaus auf einen der Hauptgänge, die sich wie Adern durch den Großen Haufen ziehen, hoch auf die sechste Ebene zum Markt: Überall Arbeiter, viele mit Ballen aus Fichten- oder Kiefernnadeln auf dem Rücken und Stände mit Leckereien, Verkäufer, die lautstark Waren feilbieten – dort, gebratene Bürstenspinnerraupe für den kleinen Hunger, ei wie das duftet, oder süße Honigkipferl, wir haben es uns verdient! Auch Karren mit zu Möbeln verarbeiteten Chitinpanzern und einer, völlig überladen mit geschnittenen Blättern von der Linde am Westufer, bestimmt für die Pilzfarmen, auf dem Kutschbock – beständig schimpfend – ein alter Typher, ach, hier kommt keine Langeweile auf, der Große Haufen schläft nie!
Man beneidet uns um diese Perle der Zivilisation, da können wir sicher sein: Von den alten Erntevölkern auf ihren Wiesen bis zu den nördlichen Waldameisen und erst recht den Feuerameisen im Kieferngrund, alle schauen auf unseren Haufen, jede Ameise des Waldes wäre insgeheim lieber hier aufgewachsen! Oder jede Meise, wie man so schön sagt: Wir freuen uns ja, dass so viele Fremde unseren Haufen besuchen und wir anderen Völkern Wissen und Werte vermitteln können, aber das A sollte doch den Typhern vorbehalten bleiben.
Man muss sich nur den Freiheitsplatz ansehen, diese riesige Halle auf Ebene Acht, gleich neben der Versammlungskammer: Tausende Wagen, Reihe an Reihe, vom Einsitzer bis zur Kutsche mit einem Dutzend Zugmeisen davor! Und natürlich unzählige Boten, zu Fuß oder auch beritten, wie wir sie auf der A1 gesehen haben. Hier im Herzen des Haufens bekommen Schicksale neue Wendungen: Glücks- oder Trauerbotschaften werden ins Land gesandt, so mancher Überfall geplant und ausgeführt, ja, Pärchen müssen sich trennen oder liegen sich nach langer Zeit wieder in den Armen – da an der Haltestelle steht schon eins, gehen wir doch näher heran. Ein hübsches Ammenmädchen und ihr fescher Feuerwehrfreund in Uniform – eigentlich ist er Reporter, aber auch privat sehr engagiert – sie tauschen Zärtlichkeiten aus und reden von seinem Freiwilligendienst auf der Hohen Tanne: Erst in fünf Tagen wird er wieder da sein, die Armen, ach, wir fühlen mit ihnen!
Aber uns schwirren immer noch diese Schmeißfliegen im Kopf herum, wir können uns gar nicht entspannen – ob die noch unterwegs sind? Ja, da ziehen sie im Tiefflug über unser Land, was wollen die bloß? Und wieder Getrommel, wir sind beunruhigt – besser nicht zu lange hinsehen.

Unser Präsident, er gibt uns immer ein gutes Gefühl: Der liebe Kurt, kurz und knackig. Gerade besichtigt er die Blattlausfarmen auf dem Wacholderbusch im Süden der Insel, er macht Witze, um ihn Reporter, die eifrig Notizen in ihre Lindholztafeln ritzen. Kurt interessiert sich für jedes Detail und stellt viele Fragen, hach, ist er nicht sympathisch? Der Farmvorsteher, kräftig und breitschultrig – einer, der den Überblick hat und mit allen sechs Beinen im Leben steht – gibt geduldig Auskunft. Aber da passiert nicht viel, zurück zu den Liebenden, oje, es heißt Abschied nehmen, ein letzter Kuss, eine Träne, Geigenmusik im Hintergrund, möge Kundigunda, die Wächterin aller Liebenden, ihnen diesen schweren Moment erleichtern – halt, was ist jetzt los? Die Erde bebt, draußen muss etwas passiert sein! Gut, dass wir gerade live dabei sind, ist vielleicht ein Fichtenzapfen in den Haufen gekracht? Aber es stürmt doch gar nicht, wo soll der herkommen! So kann ich dich nicht alleine lassen, flüstert der Feuerwehrfreund zu seiner Geliebten, wer weiß, was da los ist. Eine zweite Erschütterung, eigenartig, eine dritte, auf dem Platz wird es unruhig: Bassgegrummel, die Luft knistert, Hitze – schnell raus, nachsehen: Ein Einschlagskrater, verdammt! Der Große Haufen brennt, darüber Schmeißfliegen – wir haben geahnt, dass die was im Schilde führen, die Piloten klopfen Steinchen aufeinander, ach, sie wollen die Ladung entzünden! Da hat es schon einer geschafft, wie das brennt – es werden gepresste Kiefernsamen sein, die sind besonders ölhaltig – bei Gargor, er lenkt seine Fliege in den Krater, wie kann er nur, dieser blinde Hass! Und überall flüchten unsere armen Typher, dort rückt bereits Katastrophenschutz an, sauber in Reih und Glied.
Auf dem Freiheitsplatz wird geflüstert, getuschelt, eine Nachricht geht um wie ein Waldbrand, wird jetzt laut umher gerufen: Wir werden angegriffen, in unserem eigenen Land, ungeheuerlich! Wann gab es das zuletzt, wer sollte es wagen? Etwa ein Specht, sind die nicht ausgerottet, oder feindliche Bienenbomber, aber woher? Weitere Erschütterungen, Rauch: Da rennt alles durcheinander, Wagen kippen um, sogar Kutschen, einige werden geplündert, unser Pärchen von der Menge mitgerissen, Fühler haltend, immer mehr Rauch quillt herein – nur nach oben, an die frische Luft! Der Feuerwehrfreund hält plötzlich inne: Läuschen, die Pflicht ruft, sie schaut erschrocken, ich muss zurück, bring dich in Sicherheit! Großartig, das ist ein echter Tyhper, darum hat auch er einen Namen: Herbert. Sei vorsichtig, flüstert sie, doch die beiden werden auseinander gerissen, er kämpft sich entschlossen zurück, gegen die kreischende Menge.

Schnell zu Kurt, der wird uns retten – nein, er ist noch gar nicht informiert und erklärt Reportern sein Programm zur Ankurbelung des Honigtauexports, die Sonne scheint, im Hintergrund nuckeln Läuse an Blattstängeln. Ein Reporter fragt nach der Finanzierung, ziemlich harsch klingt das, kann er nicht freundlicher sein? Kurt rettet wortgewandt die Situation, doch jetzt flüstert ihm ein Berater etwas zu – mein Präsident, wir werden von Suizid-Schmeißfliegen angegriffen, was sind Ihre Befehle? Kurt erbleicht, er sieht überrascht aus, fast hilflos, er wird doch einen Ausweg wissen? Aber da sichern bereits zwei Wespenjäger den Luftraum, taraa, die L1-Kommandolibelle landet, sie wird ihn an den Ort des Geschehens bringen, jetzt wird alles gut!
Aber der Große Haufen – das schmerzt ganz tief im Herzen, unser aller Stolz: In Flammen und Chaos, immer noch schwirren Schmeißfliegen umher, gerade stürzt sich wieder eine herab, wie tief der Krater bereits ist, wo bleiben nur unsere Jäger? Da rutscht der Kraterrand hinab in die Flammen und mit ihm hunderte unschuldiger Ameisen – die Armen, wir können gar nicht hinsehen, ist das dramatisch! Na, erstmal eine Pause.

Bernies Brandschutz rettet Leben, lassen Sie jetzt Ihre Kammern auf Sicherheitsrisiken prüfen, morgen könnte es bereits zu spät sein!

Da sind wir wieder – ah, ich seh schon, wir haben eine Menge verpasst, drei weitere Schmeißfliegen sind in den Krater gestürzt, die restlichen hat unser Siebzehntes Wespenjagdgeschwader vom Himmel geholt, die Flieger kreisen stolz über dem Haufen, wir fühlen uns sicherer. W-113-Jäger sind wirklich faszinierend: Die Wespen selbst schützt bearbeiteter Hirschkäferpanzer – reinstes Chitin – neben Öffnungen für Augen, Flügel und Beine ist ein Teil des Hinterleibs frei, sodass optimale Beweglichkeit des Stachels gewährleistet bleibt. Die Wespe trägt zwei Sattel, einen für den Piloten, den anderen für den Waffenoffizier an seiner Sehnsucht: Ein Vorzeigeschild unserer Zivilisation, dieses Geschwader – ach und doch haben wir uns überraschen lassen von den Barbaren! Das Feuer ist immer noch nicht unter Kontrolle, dort kriecht auch Herbert durch die Gänge, er hat eine Arbeiterin aus ihrer Kammer gerettet und trägt sie in tiefere Regionen, da wacht sie auf und blickt ihn mit großen Augen an, du hast mir das Leben gerettet, für dich tu ich alles! Doch er ist in Gedanken bei den anderen Opfern, stellt sich vor, wie sie ersticken, frisch Entpuppte und Alte, Mädchen wie seine Amme. Werden wir uns wieder sehen, fragt die Arbeiterin, doch er hört nicht, verschwindet schon im Rauch, dabei hat er gar keinen Atemschutz, der Mutige!
Wie mag es der Seinen gehen, wir glauben, sie heißt Rita? Na, uns fällt ein Stein vom Herzen, sie ist oben bei den Übungsplätzen, draußen an der Luft! Doch wohin weiter, hier kann sie nicht bleiben, hier ist es zu gefährlich – ist in dieser Richtung nicht das Flugfeld? Da kommen ihr schon welche entgegen, zu viel Rauch, sagen sie, na, Rita will selbst nachsehen – stimmt, kein Durchkommen – aber sie muss doch weg hier: Dorthin, nein, da lecken schon die Flammen, wir werden alle sterben, immer näher kommt das Feuer, einige springen schon – ach, sie verenden in den Flammen! Unsere liebe Rita beginnt zu schluchzen, bitterlich, im Hintergrund Geschrei, Asche weht umher, schon wieder traurige Geigen, Sturm und Hitze – jetzt steht sie starr, kann nicht mehr weinen, große, abwesende Augen, sie betet inbrünstig zu allen Wächtern, die sie kennt – solch ein Ende hat sie nicht verdient!
Da weht ihr ein Stück Eichblatt zu, unschlüssig hält sie es fest, dann nagt sie eine Botschaft hinein, wir können nicht erkennen was, eine letzte Nachricht wohl, die Worte einer Sterbenden für die Nachwelt, vielleicht für ihren Geliebten! Jetzt ist sie fertig, übergibt das Blatt dem Wind und da bricht auch schon der obere Teil des Haufens ein, alle vergehen sie in den Flammen – oh nein, wie konnte es so weit kommen!
Das Blatt jedoch wird durch das Inferno auf und ab gewirbelt, ein Sinnbild unserer Nation. Na, es wird wohl in den Flammen vergehen – Glück gehabt, ein Luftzug reißt es hoch: Jetzt ist es außer Gefahr und sinkt langsam nieder, gar nicht weit vom Großen Haufen, einmal wird es noch empor gehoben, dann berührt es sacht den Boden und bleibt liegen.

Leseprobe aus „Acid, Mao und I Ging“

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Ein Flug durch die Galaxen
Berlins 1. LSD-Küche

Die Geschichte spielt in den frühen 70ern (des 20. Jahrhunderts). Unruhe an der TU (Technische Universität, Berlin). Fünf Gestalten schwirren durch die Gänge, dass den braven Bürger-Studenten angst und bange wird: drei Typen und zwei Bräute… Von ihrem Erscheinungsbild machst Du Dir keinen Begriff! Freaks. Kriegt kein Regisseur so einfallsreich und farbenprächtig hin: die Mädels, um die zwanzig, in langen, weit wallenden Seidenröcken, Patchwork, Flicken, mächtig wogende Unterröcke, Jesuslatschen oder barfuß mit grün und blau lackierten Nägeln (gab es damals noch gar nicht – die haben einfach Ölfarbe genommen). Und die Typen! Eh, die Typen… unter diesen kurzgeschorenen, vollbärtigen Studenten, kariertes Hemd zu beschissenen Hosen. Dagegen glattrasiert (Der Bart ist ab), dafür aber Löwenmähnen, zugegeben, gepflegt, gewaschen, aber seit Jahr und Tag nicht geschnitten. Manche blauleuchtend zu rotem Stirnband, andere pechschwarz oder rot gelockt (Henna aus A’dam). Die Klamotte: bunter fällts keinem Vogel ein! Viele Jahre, bevor Lederhosen auf den Markt kamen, hatte mir eine Sister indianische Leggins aus Hirschleder maßgeschneidert, mit Fransen und Perlen dran, eh, abgefahren! P.P. (Pausen-Peter) steckte in blauen Seemannshosen – mit Schlag. Dazu eine leuchtend rote Seidenbluse – Mohnblüten (!) mit weiten Puffärmeln – too much! Er war gelernter Eisenbieger. Ich fragte: „Haste ausjelernt?“ Er: „Seh ick so blöde aus? Nach drei Monaten Stumpfsinn hab ick ne achter Eisenstange jenommen und meinem Polier daraus ne Krawatte jeknotet. `Mach dir deine Scheiße selber, du Wichser!´ Erstickt is die Sau nich – n Bolzenschneider war rechtzeitig zur Hand…“
Happy (Happy-Harry) steckte in Edeljeans, mit Patchwork verziert: die Stones-Zunge, das Peace-Zeichen und son Zeug der Zeit. Aufbügelbar. Selbstgefärbt, die Industrie brachte auch das erst viele Jahre später auf den Markt. Jeans waren blau. Punktum! Typisch, als es längst keine Hippies mehr gab, wurden ihre Innovationen, ihre Kreativität auf allen Gebieten schamlos ausgebeutet und vermarktet…
Ich beschreibe diese Äußerlichkeiten so genau, weil sie damals nicht nur total auffielen, sondern auch einen Spiegel unseres Bewusstseins darstellten – eine Möglichkeit, die es heute nicht mehr gibt.
Happys Lehrzeit als Maurer ging auch nur ein paar Monate glimpflich ab. Stein auf Stein, lass das sein, machs Dir fein! war seine Proletenlyrik. Dabei ein hochbegabter Kerl. Nur in die falsche Sozialschicht rein geboren. Fähigkeiten nie erkannt. Nie gefördert. Die uns begleitenden Panthertanten (sozusagen die weiblichen Haschrebellen) waren Ti-Ti (Titten-Tina) und Edel-Elke. Friseuse, Schneiderin – natürlich beide freiberuflich. Der Initiator der Aktion – mein derzeitiger Nome de guerra war M. M. (Michael Macabà) – war gleichzeitig der Einzige, der eine Uni schon mal von innen gesehen hatte. Aber nicht vom Studieren, sondern von Aktionen, wie Besetzungen.
Jedenfalls, die bunte Vaganten-Truppe fragte sich durch: „Wo steckt denn hier der Professor für Chemie?“ – und fand die Abteilung auch, bzw. einen Assistenten. Eine Figur wie aus einem schlechten Film. Seine bleiche Haut brachte die roten Pickel (zum Teil mit gelben Eiterköpfchen!) gut zur Geltung. Die lange, klapperdürre, gekrümmte Gestalt schien nur durch den Anzug zusammenzuhalten, fadenscheinig, großkariert, grau in grau, blödsinniger Schlips, braver Scheitel, Nickelbrille, Gläser, dick wie Mitropa-Aschenbecher. Nun, wir wollten ihn ja auch nicht als Modell, sondern als Drogenkoch… und schleiften ihn in die Mensa. Ti-Ti fischte ein Bündel Geldscheine (20.000,- Mark, damals viel Geld!) irgendwo aus dem nirgendwo, knallte sie ihm auf den Tisch, dazu einen Zettel mit der Strukturformel von LSD, und sagte: „Das ist die Anzahlung. Die andere Hälfte kriegste, wenn Du uns das gekocht hast. Das Rohmaterial ist da, das Labor auch. Du musst es nur noch nach Deinen Wünschen einrichten. Ist doch wohl n Klacks für einen Crack wie Dich…“

Hier kurz eine spannende Nebenstory: zur Gewinnung reinen LSDs bedurfte es, nach dem damaligen Verfahren, zwei relativ simpler, preiswerter Chemikalien, die für irgendwelche Verfahren als Katalysatoren dienten.
Ab Ende der 60er Jahre wurden sie uns nicht mehr verkauft, im Gegenteil: „Warten Sie mal…!“ Na danke! Tatütata…
Sind wir eben in die arabischen Länder geflogen, Tunis, Tanger, Damaskus… Eine Weile kein Problem. Je einen Kanister, zwei Liter á circa 25 $. Auch an der Grenze kein Problem (nach längerer Nerverei allerdings, da das Zeug ja nicht auf der Liste der verbotenen Stoffe stand). Dann wurden diese Flüge auch vergeblich. Wir konnten nicht viel mehr von einem angetörnten Sohn des Pharma-Großhandels in Tunis erfahren, als dass die Amis, sprich CIA, dahinter standen, die auch gleich einen Ersatzstoff kostenlos mitlieferten – der uns allerdings nichts nutzte…
Blieb also noch der Ostblock. Eine Weile ging alles gut mit Warschau, dann Prag, Split, Bukarest… bis dann gar nichts mehr ging… Amigos, die aus Asien zurückkamen, hatten es in Bombay (wo mit Dollar eigentlich alles möglich war!), in Bangkok, Singapur etc., etc. probiert, nichts erreicht, aber die klare Information erhalten: der CIA zahlt reichlich dafür, dass die beiden Stoffe vom Markt verschwinden und liefert kostenlos ganze Produktionsstätten für den Ersatzstoff. Man wusste Horrorgeschichten zu erzählen von Leuten, die sich nicht daran gehalten hatten. Und so viel Geld könnten wir gar nicht aufbringen, jemanden dazu zu bewegen, es dennoch zu versuchen… Heroin, das sei etwas anderes, da würde schon mal ein Auge zugedrückt, aber LSD – nee! Das ist der ganze Grund, warum es, trotz steigender Nachfrage, seit Ende der 70er Jahre kein reines LSD mehr geben kann. Es sind immer Amphetaminverbindungen mit drin, d.h. konkret Speed. Und Haschrebellen-Regel Nr. 3 sagt schlicht und einfach: Speed kills – also: Pfoten fort! Es ist real eine bewusstseinserweiternde Droge – keiner kommt so zurück, wie er losgeflogen ist…
Und noch was: die Regierungen westlicher Industrienationen (vor allem USA und BRD) haben immer wieder horrende Mittel bewilligt, um die Gefährlichkeit von LSD endlich wissenschaftlich zu beweisen. Das Anfangs begeisterte Militär verlor bald jedes Interesse als sich rausstellte, dass die Probanden gern Liebesgefühle aller Art, nicht aber Aggressionspotential entwickelten. Obwohl sich die Wissenschaftler erdenkliche Mühe gaben zu beweisen, was ihre Geldgeber erwarteten – immer kam das Gegenteil dabei heraus. Es konnte nicht für Organschäden verantwortlich gemacht werden, weil man nicht einmal feststellen konnte, wo im Körper es überhaupt blieb… Es förderte Frohsinn statt Stumpfsinn, Innovation, Kreativität, ja sogar Intelligenzsteigerung wurde vielfach konstatiert. Es ließ sich weder psychologisch noch medizinisch irgendetwas Negatives feststellen. Zu dumm. Denn andererseits hatten Therapeuten, wie Stanislav Groff, um nur einen zu nennen, ganz frappierende Erfolge mit Spurenelementen der Substanz zu vermelden: bei Depressiven, bei Alkoholikern, in der Atemtechnik etc. Auch die Gefahr der Abhängigkeit, des Missbrauchs, erledigte sich von selbst: je häufiger konsumiert, desto weniger wirkt es. Je länger die Pausen, desto besser. So verfiel man auf die – erst in Generationen nachprüfbare – Behauptung, es könne unter Umständen das Erbgut schädigen. Auch das erwies sich als totaler Quatsch. Allein auf Ibiza und in Kalifornien leben Tausende von Acid-Heads (ich kenne allein Dutzende) mit gesunden, ausgeschlafenen, fröhlichen Kindern – allein schon besser drauf wegen ihrer repressionsarmen Sozialisation! Letztendlich ein klares Wort zu dem horrenden Blödsinn, den die Yellow-Press gern verzapfte: man (/frau) könne auf dem Trip hängenbleiben – auf einem Horrortrip landen… Nun, mir ist so ein Fall nicht bekannt. Und ich kannte viele Hundert User. Allerdings kann LSD eine akute Psychose verschlimmern, genauso wie übermäßig viel Alkohol etc… Und wer alles falsch macht, mit den falschen Leuten, ohne Lehrer, Führer, in überlauten, reizüberfluteten Diskos und vielleicht dazu noch Alk: der muss sich nicht wundern. Schwachköpfe gab und gibt es überall, das sagt nichts über die Droge.
Außerdem, was in den letzten Jahren unter dem Namen verkauft wird ist alles andere, meist ein Amphetamingebräu aus polnischen Garküchen. Vor solchen Giften kann man nur dringend warnen. Wer so etwas bewusstlos schluckt, muss sich über Nichts wundern.
Timothy Leary hatte (angeblich) sieben Fabriken in den USA hochgezogen. Wir bekamen es günstig, doch wollten wir unabhängig sein. Außerdem: der Reiz des Verbotenen. Wir wussten auch, dass es sich um ein so einfaches Herstellungsverfahren handelte, dass ein Studi im vierten Semester es packen müsste. Aber wir wollten das Beste, exakt dosiert, haltbar etc.

Zurück zu meiner Geschichte. Der Assi war kreidebleich, die Pickel glühten… Dann unser freches Du, unsere Erscheinung, wie vom andern Stern (so war das damals, ehrlich) und nicht zuletzt: die viele Kohle! Dafür müsste er Jahre arbeiten… Nun gut. Er hat für uns geköchelt. Das war die Einleitung. Jetzt kommt der Mittelteil. Ein Freund von mir hatte im tiefen Kreuzberg eine schlecht gehende Druckerei. Die Wand nach Osten war mit einem Riesenregal vollgestellt, das man verschieben konnte (ich nehme an, dass sein Vorgänger sich das so für seine Schmuddelpornos gebaut hat). Dahinter kam eine Tapetentür zum Vorschein, dahinter ein schmaler, langer Raum mit drei Rundbogenfenstern bis zum Boden! Doppelt wichtig a) für den Clou der Geschichte und b) für die Entlüftung. Es müffelte ganz schön und wir wollten doch nicht gleich die Schmiere am Arsch haben – aber in so einem riesigen Fabrikkomplex stinkt und dampft es allenthalben. Gut. Hier wurde flugs unsere 1. LSD-Küche eingerichtet. Die benötigten Gerätschaften wie Kolben, Waage, Brenner etc. waren billig, keine 600,- Märker, die Pillenpresse bekamen wir aus Hannover, gebraucht… (möglichst wenige Spuren…). Gar nicht lange und die Dinger waren gepresst. White Light, 400 mg exakt, das weiße Leuchten der Mystiker, das große Werk der Alchemisten, das Fernziel ungezählter Adepten aller sakralen und Mysterienschulen… Je nach Dosis wirkt es (laut Timothy Leary) somatisch, magisch, mythisch, mystisch, spirituell (meeting with god). Aus je einem Liter Rohstoff erhielten wir 500.000 Trips. (Wir hätten 750.000 erhalten, wenn wir nicht auf einen letzen Reinigungsdurchlauf bestanden hätten…) À 1,- DM (was irre billig war) – in großen Mengen haben wir es noch billiger weggegeben oder verschenkt. Ich gebe zu (auch wenns mir heute peinlich ist): wir waren von der Idee besessen, die Welt anzutörnen – und damit zu retten. Durch LSD die Dummheit, die größte Geißel der Menschheit, die Gebundenheit an Materie, an Besitz zu besiegen. Viele waren damals von der Idee besessen: LSD in die Trinkwasserversorgung! Das ganze Land aufm Trip: lachen, singen, tanzen, springen – und natürlich kreuz und quer rumvögeln.
Chronisten von Veitstänzen berichten davon, wenn im Mittelalter immer wieder mal, durch von Mutterkorn befallenes Getreide, in ganzen Regionen Europas der Wahnsinn ausbrach: die Dörfler zogen nackt, singend, tanzend und schamlos vögelnd durch die Landschaft… Die Hemmungen, die ihnen vor allem Mutter Kirche mühsam eingebläut hatte, waren sie auf einen Schlag los, durch den Verzehr eines Stück Brotes waren sie hemmungslos!
Jedenfalls musste ich unter Mühen so viel Toleranz üben, den Spießer Spießer sein zu lassen, ihm seine schwachsinnige Soap-Opera oder Gameshow zu gönnen.
Jetzt kann ich es ja verraten, ist als Straftat ja wohl verjährt – wenn nicht, hab ich mir alles nur ausgedacht: wir schafften die ganze Schore nach A’dam (passte in eine Damenhandtasche) und verteilten es von da aus! Interpol suchte sich nach der Küche dumm und dusselig, in dem engen Städtchen muss doch so eine stinkende Küche leicht zu finden sein…
Jedenfalls schlug White Light ein wie ne Bombe. Frag mal angetörnte Oldies, die kriegen Sternchen in den Augen… Allein nach Berlin reimportierten wir über 10.000 Stück, bald waren die Wessi-Metropolen versorgt, über München, Zürich, Wien kam es schnell nach Firenze, Roma, Napoli, die griechischen Hippie-Inseln wie Kreta. Frankreich auslassend war der Ruf von der reinen, starken, klaren Superpille aus A’dam schneller in Barcelona, Madrid und vor allem auf der Hippie-Insel Ibiza (die Hippie-Zenkos), als wir nachkochen konnten… (Kürzlich, fast dreißig Jahre später, schwärmten mir ein paar Ami-Oldies, die ich hier zufällig traf, von ihrer totalen spaced out time vor, die sie in Formentera mit dem sogenannten White Light hatten!) Von A’dam ging es natürlich nach London, hoch nach Schottland (obwohl da traditionell schon immer mehr gebechert wurde). Hippies waren ja Vielreisende (vor Beginn des Alles zerstörenden Massentourismus). So war die kleine Wunderpille auch bald in Bombay, Goa, bis ins (zu der Zeit noch als Geheimtipp gehandelte) Bali! (Was ist aus der Insel der Götter heute geworden? Zum Kotzen! Mallorca für besser Verdienende. Hätten wir doch bloß unseren verdammten Rand gehalten!!!)

Ein Berliner Haschrebell, dem wohl das Fell juckte, gab seinem Guru, einem Opa in Kerala ein paar (!) White Light zum Frühstück! Später befragt, wie er das fand, erzählte er lachend: „Nice. Really very nice.” Es hätte ihm glatt seine Morgenmeditation erspart, so gut habe er sich gefühlt… (Mann, muss der Mann high sein! Ich, obwohl nicht ganz unerfahren, wäre in die Nebengalaxie geflogen…)

Hauptgeschichte
So, geneigter Leser, wenn Du bisher die Geduld hattest, sollst Du jetzt belohnt werden. Das war alles Rahmenhandlung. Jetzt kommt der eigentliche Knaller, die Pointe! Was da passiert ist, ist nicht zu fassen und wird es wohl auch nie sein. Trotzdem wahr, Inshallah! Das Labor musste ausgeräumt, entsorgt werden. Alle Spuren beseitigt. Wir hantierten zusammen mit dem Assi in der Küche. Plötzlich dreht der sich um, wird kreidebleich, weil er mit blankem Entsetzen sieht, wie der ewig verfressene Happy ein Gefäß auskratzt, genüsslich die Kelle ablutscht. Er schlägt sie ihm aus der Hand und schreit, geradezu hysterisch: „Du Wahnsinniger! Du bist hier nicht in einer orientalischen Garküche – sondern in einem Chemielabor! Weißt Du, was Du gerade gemacht hast??? Jetzt hast Du zehn, vielleicht zwanzig, eher aber dreißig Trips geschluckt! Gnade Dir Gott.“ Innerhalb der nächsten Minuten straffte sich Happy, entspannte sich dann, stand aufrecht zum Fenster, die Arme hängend, leicht angewinkelt, als hielte er lässig ein Steuer. Es ist kaum zu fassen: drei Tage und drei Nächte stand er da. Unbewegt! Den Blick stur geradeaus in die Unendlichkeit. Abwechselnd hielt einer von uns dort Wache. Mit einem Strohhalm konnten wir ihm wenigstens etwas Flüssigkeit einflößen. Das war auch schon alles.

Als er wieder zu sich kam, sprach er diese denkwürdigen Worte, derentwegen ich eigentlich diese Geschichte schreibe und über die zu meditieren sich lohnt: „Ich dachte noch, ihr hättet ein Stroboskop eingebaut! Ich habe es drei Mal blitzen sehen!“
Da hat der Kerl drei Mal die Sonne aufgehen sehen – eine totale Verschiebung der Zeit-Raum-Achse… (es kommt bei psychedelischen Drogen ja häufig vor, dass man in Minuten so viele Eindrücke sammelt, dass man glaubt, Stunden seien vergangen. Aber umgekehrt…) Er weiter: „Mir war nur eines klar: es geht ab durch die Galaxen! Also: Steuer festhalten! Immer geradeaus – quer durch die unendlichen Galaxen! Mit 180.000 Knoten in der Stunde!“ (Da fällt selbst mir echt kein Kommentar mehr ein. Gottlob war Happy ein grader, unneurotischer Typ…) Dann fragt er noch – und meint es auch so konkret: „Sagt mal, hattet ihr ein Tonband laufen? Ich hab die ganze Reise über die allerherrlichsten Klänge gehört…“ Mystiker, Adepten mit tiefspirituellen Erfahrungen berichten ja zuweilen von wunderschöner Sphärenmusik. Es gibt sie also. Das Universum ist in Schwingung. Und das ist Klang in vollendeter Harmonie. Nur sind wir zu abgetreten, um sie im Alltagsbewusstsein mitzubekommen. Nachdenkenswert.

Tja, so war das. Glaube es, wer will. Ich war dabei. Doch wo mich schon ein halber White Light an die Grenzen brachte, dass ich glaube, fast das weiße Leuchten zu sehen, überstand Happy ein paar Dutzend unbeschadet. Schon ein paar Tage später war er wieder ganz der alte.

…und ein Vorwurf an diesen dogmatisch-unwissenden Barbaren-Staat: als klar wurde, dass es reines Meskalin, reines Psylocebin und so reine LSD-Sorten wie White Light und Orange Sunshine aus den Staaten für endlose Zeiten nicht mehr geben würde, habe ich je zehn gut verpackt und im Kühlschrank für Notzeiten gelagert – nicht zum konsumieren, sondern falls jemand es mal wirklich gebrauchen kann. Bei einer Razzia, einem Bullenüberfall auf meine Wohnung (unter einem nichtigen Vorwand, es wurde sonst nichts Illegales gefunden) wurde das – zusammen mit einer unwiederbringlichen Sammlung seltener, zum Teil sehr kostbarer alter Opiumpfeifen aus Persien, Indien und China, beschlagnahmt, geklaut und vernichtet. Leute: vernichtet… Denn sie wissen nicht, was sie tun…

Agape & Venceremos

Wie ich meinen Guru fand

Nachdem der Maharishi Mahesch Yogi die Beatles bekehrt hatte und durch Europa tourte, als nach meinen ersten Indienreisen die Phase ausbrach (wie eine Krankheit), dass jedes Bleichgesicht dort auf die Suche nach seinem speziellen Guru gehen musste – musste ich das, na klar, auch. Ich konnte mir zwar nicht vorstellen, zu Füssen eines Erleuchteten zu hocken, an seinen Lippen zu hängen – eher er an meinen! Ich hatte derzeit den jugendlichen Größenwahn, nicht Frager, sondern Beantworter aller Menschheitsprobleme zu sein, aber, naja mal sehen… Der Gurumarkt begann zu blühen. Wo floss in Indien schon so viel Kohle, wie in den Aschrams (die Meditationsräume, wie Du weißt)? Na, heute noch ungebremster! Allein Sai Baba mit seiner weltgrößten Herzklinik ist ein Milliardengeschäft. Poona, Baghwan (später: Osho) und ein paar andere, weltbekannte Erleuchtungsspezialisten ersparte ich mir. Die glaubte ich aus der Literatur und aus Berichten von Freunden genügend zu kennen. Ich brauchte den Spezialguru, genau für mich. Und ich fand ihn auch – Du wirst schon sehen…

Aber zunächst die Frage: wo und wie mit der Suche anfangen? Die Masse! Das große Land! Islam? Okay, in den Moscheen konntest Du umsonst pennen und futtern (damals wars – so fangen alle Märchen an! Aber: das frauenfeindliche Element – und ich als Überläufer an die Frauenfront! Verstehste?!) Hinduismus? Wie viele Tausend Götternamen muss ich denn da in meinen Brausekopf pauken? Nee, auch nichts für mich! Also Buddhismus, dem ich schon immer recht nahe stand. Bloß – da gab es kaum so etwas wie Gurus. Allerdings etliche Klöster. Ick geiler Bock im Kloster?! Damals: unvorstellbar! Heute: immer gerne! Also brauchte ich so etwas wie einen Zwerg Allwissend – einen über allen Religionen Stehenden. Einen echten Bodhisattwa, einen echten Erleuchteten. Gab es ja auch. Angeblich. Reichlich… Aber irgendwann bist Du [ist man] immer hinter die Taschenspielertricks gekommen. Oder du hast[man hat] gemerkt, hier wird auch nur mit Wasser gekocht. Das als Erleuchtung deklarierte waren Allerweltsweisheiten, auch nicht klüger als die meisten Texte der Rocksongs. Außerdem sollte ich stundenlang meditieren (das wurde mir bald langweilig) und mich in Yoga üben (Sport ist Mord – mir taten alle Knochen weh!). Vor allem aber: kein Sex, keine Drogen… muss ich das noch näher ausführen?
Meine freche Lache, meine (angeblich) dreisten Sprüche machten mir die Suche nach dem richtigen Guru nicht gerade leicht. Ehrlicherweise muss ich zugeben, dass ich doch ein paar ganz erstaunliche Opas kennengelernt habe. Ein paar davon will ich Dir im Folgenden beschreiben.
Der eine Opa beispielsweise schmiss sich nackt bis auf seinen zerfledderten Lendenschurz immer in der schlimmsten Mittagshitze auf einen breiten Dornenbusch und hielt da seine Siesta! Der Busch war widerlich spitz und stachelig, ohne Blätter. Solche Fakirsachen sollen ja schon in wenigen Jahren erlernbar sein – sind aber absolut nicht mein Ding… Außerdem gehören sie meiner Meinung nach überall hin – nur nicht in den Aschram eines Gurus. Als ich weiterzog kam das zur Sprache. Zu meinem größten Erstaunen räumte er ein, dass ich völlig Recht hätte: seine ersten Lehr- und Wanderjahre sei er mit ein paar Asketen, Bettelmönchen, durchs Land gezogen und hätte diesen und manch anderen weltlichen Unfug gelernt. Es täte ihm leid – doch andererseits hätte ich so ja schon von Weitem erkennen können, dass er kein Guru sei. Ein Erleuchteter befasse sich nicht mit Kinderkram – ihn habe es halt immer wieder gereizt, weil er keinen entspannteren Zustand kenne und außerdem: er habe sich selbst ja nie als Guru bezeichnet – immer nur die Anderen (Guru heißt eigentlich nur schlicht: Lehrer).
Ein anderer Opa (laut meiner Hocheingeweihten, Geheimnisträger) nahm schon seit sehr langer Zeit keine feste Nahrung mehr zu sich, nur Wasser, Prana und basta! (Du weißt schon, Prana ist diese kosmische Energie, durch Singen kommste gut ran. Oder auch bestimmte Atemtechniken – aber das ist hier völlig piepe!) Eines Nachts trieb mich der Hunger in die (streng verbotene) Küche! Da trafen wir uns dann. Der hungernde Guru und der ewig verfressene berliner Freak. Dann speisten wir bald jede Nacht zusammen in der kleinen, geheiligten Küche des Aschrams. Mein Schweigen war für mich wie ein Judaslohn – doch ich genoss es.
Im Norden, in Kaschmir, hörte ich von einer Tantra-Yoga-Sexus-Erleuchtungsgruppe. Nichts wie hin, erst mal. Aber nach kurzem Schnuppern: nee! Det Jefummel – aber selten mal so ne richtige, wilde, abgefahrene Vögelei! Ich hatte auf hemmungslos gesetzt – aber das war Sexzwang: wer nicht an genug Frauen rumgetatscht und sein Soll erfüllt hatte war out.
Ein ganz eigener Trip ist es, der außer Entbehrung auch viel Spaß und Erfahrung bringt, mit den heiligen Asketen, den Sadhus, mitzuziehen. Es sind Bettelmönche, die nichts besitzen als ihre Bettelschale und einem Shillom – eine konische Tonröhre, aus der ein Hasch-Tabak-Gemisch geraucht wird. Der Anblick der Typen ist umwerfend und sie prägen jedes Straßenbild indischer Städte. Wilde Gesellen! Nackt bis auf ihr Lendentuch, die Körper bemalt mit Asche, Ruß, Kalk und Farben. Die Haare, oft bis zur Hüfte oder auch bis auf die Erde (sie werden nie geschnitten) haben sich im Laufe der Jahre zu Zöpfen gedreht und werden irgendwie hochgesteckt. Doch das Rauchen war mir nach einer Weile denn doch wieder too much! Als Europäer kippst Du nach einem Zug von dem Zeug aus den Latschen und landest in einer Nebengalaxie…
Nun noch ein paar kurze Beispiele, auf was für weise Kandidaten ich traf, bevor ich meinen wirklichen Guru fand: einer, von vielen Weißen als Obererleuchteter Angepriesener, führte einen hübschen Aschram (allerdings nicht gerade billig!) und hatte folgende Story drauf: er sei freiwillig wiedergeboren (ein Bodhisattwa also!), um an verschiedenen Plätzen Indiens gleichzeitig zu wirken! Er könne sich mehrfach materialisieren! Unsere Fragen, ob er (vor uns sitzend) nun er sei – oder eine seiner Illusionen (Maja), beantwortete er eindeutig mit: „Jein! Alles ist Illusion, Maja. Wenn ihr soweit seid, werdet ihr die Wahrheit erkennen!“ Ich weiß nicht, ob ich so weit war, geschweige denn heute so weit wäre (ich denke, eher nicht!) – aber ich habe sie erkannt. Die Wahrheit. Allerdings etwas anders, als er es sich gedacht hatte: er fügte die Sache so, dass wir auf der Rückreise aus seinem Tempel im Norden Ceylons (Sri Lanka) andere Freaks zwecks Erfahrungsaustausch treffen mussten. Und stell Dir vor: die hatten die gleiche Zeit mit dem gleichen Guru verbracht: in Kerala, Südindien! Oh, Wunder über Wunder! Wir verglichen: Fotos, Tonkassetten, Verhalten, Sprüche (die Lehre) – alles identisch. Oh wow! Baff! Einige Zeit später kam mir die Erleuchtung: Zwillings-Brüder! Ganz einfach, denke ich heute. Allerdings: gutes Teamwork! Gutes Geschäft!

Einen Uraltopa fand ich ganz besonders liebenswert: bescheidener Aschram, schön gelegen, keine Rupie – nur freiwillige Spenden. Auch die Toleranz des Alten gefiel mir: er hielt das Rauchen von Haschisch zwar für kompletten Blödsinn (den er als junger Mann auch betrieben hatte, wie er freimütig zugab!), auf dem spirituellen Weg sogar eher hinderlich – aber er verbot es nicht. Das war für die meisten Freaks der Grund, es zu lassen! Der Alte hatte außer seinem Lendenschurz, immer und ewig nur seine olle, karierte (und sicher verlauste) Pferdedecke um. Während sich andere Gurus zu jeder Gelegenheit neu einkleideten (siehe Osho!) und wohl dachten ihr unsägliches Gequatsche würde weiser, wenn sie sich albern verkleideten, gab er so auch in seinen Lessons, in diesem unvergleichlichen, platten Piggish-English, die höchsten Weisheiten preis. Ungefähr so: Schweigen. Schweigen. Schweigen. Wir fragen uns schon, ob er wohl wieder eingepennt ist. Doch dann kommt es! Faustdick! Ungefähr so, mit kleinen Variationen, täglich: „Everything is perfect! No worry! Whole universe is all right! Just relax! Just be happy. Rhabarberabar…!“
Eines fiel uns allen im Aschram mit der Zeit doch auf: die Mittagshitze über war er verschwunden, unauffindbar! Wir schwitzten wie die Affen – und entdeckten ihn in dem kühlen schattigen Wäldchen oben am Hang. Die Pferdedecke lustwandelte unter Pinien und Palmen. Nur: da war kein Hinkommen! Zwischen dem Aschram und dem Hang rauschte ein ziemlich wilder Bach, breit und tief – angeblich auch schlangengefährlich. Brücke? Nix da! Steine über die man springen könnte? Nix da! Hatten ganz andere schon vor uns versucht! Nun: wir legten uns auf die Lauer – und erwischten unseren Guru, wie er den Hang hochkam, der zum Bach runter führte. Es gab keinen Zweifel: er hatte noch Sand an den Füssen. Also waren sie nass geworden… Er benahm sich auch wie ein ertappter Übeltäter. Verlegen druckste er rum… Nun ja, hm, hm, äh! Also: übers Wasser zu laufen – das hätte er schon in der Jugend erlernt. Neben Hunderten anderer Künsten[ohne n] auch… Aber das sei alles unwichtiger Quatsch, Maja… Und das lenke nur vom wahren Weg ab… Na ja, er gäbe ja zu, dass er sich jetzt, im Alter, mal das kleine Laster der Waldeskühle gönne… Nix für ungut! Lehren würde er solche niederen Stufen auf gar keinen Fall! Aber ein paar Amis (Ex-Wallstreetbroker) hatten Blut geleckt! Sie waren nicht mehr zu bremsen. Sie witterten den ganz großen Deal – hatten schon $-Zeichen in den Augen… Sie schwuren unheilige Eide, das Thema nie wieder anzusprechen, wenn er bereit wäre, es nur ein Mal, ein einziges Mal öffentlich vorzuführen. Kurz: der Alte ließ sich letztlich breitschlagen. So weltfremd, wie der war, übersah er auch gar nicht die Ausmaße.
Die Amis entwickelten ungeheure Aktivitäten, organisierten die internationalen Medien: Film, Funk, Fernsehen, Presse,… Schon eine Woche vor dem eigentlichen Tag X rückten ganze Heerscharen an. Am Bach war schlecht zu drehen. So ließen sie in der Nähe des Aschrams auf freiem Feld einen riesigen, zwei Meter hohen Swimmingpool (aus Plastik) aufbauen – eine Aluleiter dran, ein Sprungbrett übers Wasser. Die Show konnte beginnen. Die Kameras surrten, der $ rollte. Der Alte steigt die Leiter hoch, wie immer in seiner gelb-schwarz-karierten Pferdedecke… Konzentration. Mantras. Gebete. Rhabarberrhabarber… Tritt auf das Brett. Tritt auf das Wasser. Und: säuft ab! Blub blub – weg war er. Spurlos verschwunden! Nur die olle Pferdedecke schwamm auf dem Wasser… Wenn nicht nach dem ersten Schreck schnell ein paar Beherzte nachgesprungen wären, wäre der glatt ersoffen. (Dass er nicht schwimmen kann, räumte er erst viel später ein…) Im Lendenschurz, nass und nackt, gab er, verlegen und beschämt, eine Art erste (und letzte!) Erklärung zu dem Vorfall von sich, ungefähr folgenden Inhalts: „Naja, wie soll ich sagen? Das klappt schon. Fast immer. Aber eben nicht total immer. Heute halt mal nicht. Ich war nicht richtig bei mir…“ In seiner Sprache klingt das ja noch viel schöner, ungefähr so: „Same shit happend to me thirty years ago! At a big river. I think I was not really concentrated… not really by myself. So my body was too heavy, not light enough for the water, you see?” – Und Abgang nach links in seine Strohhütte… (P.S.: hatte Jesus diesen Trick erfolgreich am See Genezareth vorgeführt – wie manche Leben-Jesu-Forscher behaupten?)
Der vorletzte erleuchtete Meister, den ich Dir kurz vorstellen möchte, leitete einen besonders berühmten Aschram, weil an seiner Außenmauer ein Schrein mit den sterblichen Überresten eines großen Bodhisattwa, eines hochverehrten Heiligen, war. Dort geschahen immer wieder echte Wunder. Von weither strömten die Gläubigen. Der vor Jahrhunderten Verblichene sendete Botschaften und Verhaltensregeln aus dem Jenseits. Schriftlich. Das Grab war mit einer schweren Steinplatte abgedeckt. Zwei starke Männer konnten sie kaum anheben. Um jeden Betrug auszuschließen, saß Tag und Nacht ein Sadhu auf dem Grab. Zu großen Festen wurde der Schrein feierlich geöffnet. Der Meister verlas dann die schriftliche Anweisung oder Botschaft, die er – wie erstaunlich – im leeren Grab immer wieder vorfand!
Eines Tages stellten wir Schüler (meist Deutsche und Amis) – ich weiß beim besten Willen gar nicht mehr, warum eigentlich – die spärlichen Möbel im Vorraum zum Aschram um und entdeckten die Tapetentür – direkt zum Grab! Jetzt wurde es lustig! Die nächste, fieberhaft erwartete Botschaft aus dem Nirwana (oder wo immer sich der erleuchtete Verblichene gerade befand) war verschwunden. Etwa geklaut? (In einem berliner Antiquitäten- und Trödelladen wurde sie später verhökert…) Unser Guru rettete die Sache: das sei die Strafe für die kläglichen Opfer! Die nächste Botschaft war nicht auf Pergament, nicht mal in Sanskrit. Sie war auf Papier, in Englisch und lautete: „To smoke hash is good. Make love is better. Make love with hash is best!“ So lange hatten die Wunder bestens funktioniert. Da mussten erst ein paar Haschrebellen kommen, die selbst davor nicht zurückschreckten, eigenmächtig die Möbel zu verrücken. (So etwas würden beispielsweise indische Sannyassins (= Schüler) nie tun! Das Verhältnis zu ihrem Guru ist totale Unterwerfung.) Nun gut. Ob und wie das Spielchen weiter ging, weiß ich nicht. Ich wusste nur eines: ich musste weiter… meinen Guru finden!
Ram Dass hatte seinen Meister gefunden. So würde ich auch meinen – einen echten Guru – schon finden. Geduld, Ausdauer. Als ich schon fast aufgeben wollte, fand ich ihn tatsächlich! Der absolute Geheimtipp, unter armen Indern wie unter reichen Weißen: ein Damenschuhschneider in einem Vorort von Kalkutta! Es war gerade Überschwemmung durch den Monsun. Sein Haus stand einen Meter unter Wasser. Über eine Hühnerleiter kam ich in den ersten Stock. Ein einziger, großer, kahler Raum. Rundum an den Wänden saßen klapperdürre Inder jeden Alters in Yogahaltungen und meditierten. Der Guru bastelte am einzigen Fenster an einem Damenschuh, ein drahtiges Kerlchen mit pfiffigen Augen, gute siebzig Jahre. „Scotch or Bourbon?“, begrüßte er mich. Ich fiel aus allen Wolken! Das folgende Einweihungsgespräch gebe ich jetzt kurz auf Deutsch wieder, obwohl das achthundert Vokabeln umfassende Piggish-English alles noch besser auf den Punkt bringt. Und er brachte mich auf den Punkt! Ich war stinksauer. Konnte damals die Tragweite seiner schlichten Worte noch gar nicht begreifen. Doch ehrlich gesagt: ich zehre noch heute davon – gehe noch heute seinen Weg! Ich habe ihm zu danken! Also: „Du bist doch Europäer! Warum also nicht einen Begrüßungsdrink?“ Ich bin fast durchgedreht: „Yoga! Meditation!!“, hauchte ich mit letzter Nervenkraft. Er: „Quatsch. Für Dich: alles Quatsch. Wenn Du Yoga machst, tun Dir nur alle Knochen weh. Mehr nicht! Da musst Du spätestens mit zehn, elf Jahren anfangen!“ – „Aber die meditieren doch hier alle!“, brüllte ich. „Tja, die!“, sagte er, „Das sind alles arme Inder. Die haben Hunger. Die haben keine Arbeit. Die haben Zeit. Die haben keinen Dollar, kein Ticket nach Europa in der Tasche, wie Du…!“ Seine Quintessenz: „Für jeden einen anderen Weg. Den Weg gibt es nicht. Du fahr nach Hause. Liebe Deine Frau! Mach Kinder! Koch was Schönes. Geh spazieren. That it is. The truth is so much easy – you don’t see…“
Oh Mann war ich abgegessen! Da fuhr ich 15.000 km, um mir so einen banalen Scheiß anzuhören… Der Guru-Trip hatte sich für mich erledigt. Andererseits: ohne es zu merken, ohne es bewusst zu wollen, lebe ich heute noch nach seinen Anweisungen. Und wenn ich es tue, geht es mir echt gut dabei!

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